Im Land der Orangenbluten
in ihr. Sie kannte diese Stadt nicht einmal. Die kurze Zeit, die sie und Karl nach ihrer Ankunft hier verbracht hatten, erschien ihr wie ein lange vergessener Traum. Jetzt würde sie hier einige Zeit allein zurechtkommen müssen. Ehrlich gesagt zweifelte sie ein bisschen an ihrer eigenen Courage. Kiri guckte ähnlich verängstigt. Und ansonsten ... sie hoffte inständig, dass Jean Riard sein Versprechen wahr machen und sie besuchen würde.
Nachdem sie am Hafen aus dem Boot gestiegen waren, organisierte Pieter zwei Mietdroschken.
»Juliette ...« Martina hatte wieder etwas Farbe im Gesicht. Das lange Sitzen im Boot hatte ihr zugesetzt, und Julie hatte beobachtet, wie sie verbissen gegen ihre Übelkeit angekämpft hatte. Nun schien sie aber gleich, nachdem sie wieder festen Boden unter den Füßen spürte, neue Kraft zu schöpfen. »Juliette, ich hoffe du bist nicht böse, aber Pieter und ich würden lieber bei meiner Tante unterkommen. Es gib so viel zu besprechen jetzt, und das Haus in der Keizerstraat ... na, es ist ja auch etwas eng da, du verstehst doch, oder?« Ihr Blick wirkte fast entschuldigend.
Julie nickte nur. Was sollte sie auch sagen. Selbst wenn es ihr oder gar Karl nicht recht wäre, hindern konnte sie Martina wohl kaum an ihren Plänen. Unterdessen verstauten Pieters Sklaven bereits das Gepäck auf verschiedene Droschken. Und so fuhren die beiden Kutschen in unterschiedliche Richtungen vom Hafen fort. In der einen Julie mit Kiri hinten auf dem Wagen neben dem Gepäck, denn in eine Mietkutsche durfte sich ein Sklave nicht setzen, in der anderen Martina und Pieter. Zu Fuß folgten Pieters Burschen und eine verängstigt dreinblickende Liv. Julie hoffte inständig, dass Pieter in der Stadt nicht auch noch ...
Als sie in der Keizerstraat ankamen, stand bereits ein kleines Begrüßungskomitee vor der Tür. Die alte Haussklavin Foni, Julie erinnerte sich noch gut an das runde gutmütige Gesicht, zwei Hausmädchen und ein alter, etwas gebeugter schwarzer Mann nahmen Julie und Kiri in Empfang.
»Misi Juliette, ich freue mich, dass Misi in die Stadt kommt.« Foni umsorgte Julie gleich nach allen Regeln der Kunst, nahm ihr Hut, Schirm und Umhang ab, den Julie gegen das brennende Sonnenlicht übergeworfen hatte, und schob Kiri zielstrebig in den Wirtschaftsbereich, um sie sogleich mit einem Tablett, auf dem etwas Obst und ein kühles Getränk angerichtet waren, wieder in die vorderen Räume zu schicken. Julie hätte fast gelacht, denn daheim auf der Plantage brauchte Kiri schon lange keine Anweisungen mehr, wenn es um die Wünsche der Misi ging. Dort war sie eigenmächtiges Handeln gewohnt, was auch Amru unterstützte, schließlich sollte Kiri eine gute Leibsklavin werden.
Julie hatte keinen Grund zur Klage. Kiri gehörte inzwischen zu ihrem Leben, und sie hatte sich daran gewöhnt, das Mädchen die meiste Zeit des Tages um sich zu haben. »Kiri, sorg bitte dafür, dass ich mich gleich oben etwas frisch machen kann.« Ohne dass Julie etwas hinzufügen musste, huschte Kiri los, und Julie freute sich darauf, bald in ihrem Schlafzimmer frisches Wasser mit etwas Rosenseife vorzufinden, ganz so, wie sie es mochte. Kiri würde sich anschließend zurückziehen, denn nach wie vor lehnte Julie jede Hilfe der Sklaven beim Entkleiden oder gar Waschen ab. Sie wusste zwar, dass dies durchaus zu den geforderten Aufgaben gehörte, zierte sich aber, diese Gepflogenheiten anzunehmen.
Julie setzte sich derweil in den Salon und atmete tief durch. Jetzt war sie also in der Stadt. Sie schaute sich um. In dem Raum hatte sich seit ihrem letzten Besuch nichts verändert. Alles stand akkurat an seinem Platz, war sauber und der Boden verströmte einen frischen Orangenduft. Dass Karl hier zweimal die Woche zugegen war und gar mit Geschäftsfreunden dem Alkohol und Zigarren frönte, konnte Julie sich nicht vorstellen.
Auf ihrem Weg in ihr Zimmer hielt sie kurz vor dem ersten Schlafzimmer inne, in dem Karl nach ihrer Ankunft geschlafen hatte. Sie öffnete die Tür einen Spalt und spähte hinein. Das Bett sowie die Möbel waren mit weißen Laken verhangen. Würde Foni jede Woche so einen Aufwand treiben, wo Karl doch zuverlässig jeden Dienstagabend hier einkehrte und doch gerade heute Morgen erst abgereist war?
Julie schwante, dass sie sich mit Karls Treiben in der Stadt befassen musste. Hier, in seinem Stadthaus, schien er sich dabei zumindest nicht aufzuhalten.
Sie rieb sich die Stirn, langsam bekam sie Kopfschmerzen. Sie würde
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