Im Land der Orangenbluten
»Martina, so kann das nicht weitergehen«, sagte sie behutsam. »Du opferst dich ja völlig auf für das Kind. Ich denke, es ist an der Zeit, eine andere Lösung zu suchen, eines der Mädchen könnte doch ...«
»Nein!« Martina saß zittrig auf ihrem Verandastuhl und stellte jetzt mühsam das Glas Wasser zur Seite, das Amru ihr geholt hatte. »Ich möchte nicht, dass eines der Mädchen ... sie wissen doch gar nicht, wie ...«
Julie seufzte. »Aber Martina, du braucht etwas Ruhe! Und du sollst Martin ja auch nicht ganz aus der Hand geben, nur ein paar Stunden am Tag, damit du mal etwas Schlaf bekommst und in Ruhe etwas essen kannst.«
»Aber ...«
Julie konnte Martinas Angst nachempfinden, dass niemand sich so gut um Martin kümmern konnte wie sie selbst, aber so wackelig wie Martina auf den Beinen war, musste eine Lösung her, und zwar schnell.
Das Problem lag allerdings nicht nur bei der Mutter, die ihren Sohn nur zögerlich abgab, sondern vor allem bei diesem eigenwilligen Kind. Es war durchaus nicht so, dass man nicht schon versucht hatte, Martin an einen anderen Arm, der ihn schuckelte, zu gewöhnen. Der Junge ließ sich aber nur schwer täuschen und schrie bei jedem Fremden, der versuchte, ihn umherzutragen oder ihn in seinem Körbchen zu wiegen. Liv, Kiri und Amru waren bereits kläglich gescheitert und hatten das Baby mit resignierter Miene wieder in die Arme seiner Mutter zurückgelegt.
Nachdenklich betrachtete Julie jetzt den kleinen Jungen, der immer noch friedlich in ihrem Arm lag. In ihr reifte ein Entschluss.
»Ich kann ihn doch manchmal nehmen«, sagte sie bestimmt.
Martina runzelte die Stirn. »Du?«
Julie schmunzelte. »Ja, ich mache das gern. Schau, er ist ruhig bei mir, und wenn du dadurch ein bisschen Zeit für dich bekommst ...«
Julie holte Martin fortan morgens, nachdem Martina ihn gefüttert hatte. Das Kind war dann ruhig und zufrieden und zeigte sich bei Julie in der Tat umgänglicher als bei anderen. Sie schaffte es mühelos, ihn wieder in den Schlaf zu wiegen, wenn er zu früh aufwachte und quengelte. Sie brachte ihn sogar zum Lächeln, indem sie ihn mit ihren Fingern spielen ließ. Martina nahm diese Hilfe nach anfänglicher Sorge dankend an. In den ersten Tagen schlich sie unruhig hinter Julie her, als sie aber sah, dass es Martin gut ging, nutzte sie die gewonnene Zeit, um sich auszuschlafen. Bereits nach drei Wochen war sie wieder bei Kräften und sah wesentlich gesünder aus.
Pieter hingegen schien dieses Abkommen gar nicht zu passen. Argwöhnisch beobachtete er Julie, wenn sie sich seines Sohnes annahm. Da Martin aber selbst in seinen Armen schrie, bis sein Babygesicht eine tiefrote Farbe annahm, blieb Pieter nichts anderes übrig, als die Absprache zu tolerieren.
Julie kam nicht umhin, zärtliche Gefühle für dieses kleine Wesen zu entwickeln. Nachdenklich und zugleich fasziniert beobachtete sie jetzt das schlafende Baby. Immer häufiger verspürte sie Traurigkeit darüber, dass ihr bisher ein Baby verwehrt geblieben war. Wo Karl doch ... aber es schien einfach so, als solle es nicht sein.
Ob Karl mit Martins Geburt den Wunsch nach einem Erben aufgegeben hatte? Seit sein Enkel auf der Welt war, behelligte er Julie nicht mehr. Sie war froh darüber, waren seine nächtlichen Übergriffe doch alles andere als angenehm gewesen.
Dennoch fuhr er nach wie vor einmal in der Woche in die Stadt. Ob ihm Suzanna eher gab, wonach er verlangte? Julie hatte ein paarmal darüber nachgedacht, ihn auf seine surinamische Ehe anzusprechen. Doch die Angst vor seiner Reaktion ließ sie zögern, vielleicht war es besser, die Dinge einfach so hinzunehmen, wie sie waren. Und solange Karl sie in Frieden ließ, war das Leben auf Rozenburg auch wieder erträglich.
Julie liebte diese Plantage inzwischen wie ein Zuhause. Sie hatte hier Menschen, die ihr etwas bedeuteten. Vor allem Kiri, Amru, die anderen Sklaven, die ihr wirklich ans Herz gewachsen waren. Und natürlich Martin und sogar Martina, für die sie sich verantwortlich fühlte. Karl und Pieter waren nur unliebsame Schatten, die sich ein paarmal am Tag in den Frieden hineindrängten, aber meist auch ebenso schnell wieder verschwanden. Wusste der Himmel, was Karl den ganzen Tag in seinem Arbeitszimmer oder auf den Feldern der Plantage trieb und womit Pieter im Gästehaus die Zeit verbrachte. Wenn sie nicht zugegen waren, konnte Julie das Leben fast genießen.
Wäre da nicht diese unstillbare Sehnsucht nach Jean gewesen. Er fehlte ihr. Sie
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