Im Land der Orangenbluten
fragte sich, was er wohl jetzt tat in der Stadt. Hatte er eine neue Anstellung gefunden? Vermisste er sie?
Kapitel 3
Erika vernahm dumpfe Stimmen. Sie versuchte, ihre Augen zu öffnen, aber ihre Lider waren wie Blei. Es fiel ihr schwer, nicht wieder in den warmen, wonnigen Dämmerzustand zurückzukehren, aus dem sich ihr Geist gerade zu schälen versuchte. Sie konzentrierte sich auf die leisen Stimmen, und je mehr ihr Geist erwachte, desto deutlicher wurde ihr bewusst, dass sie nicht verstand, was dort gemurmelt wurde. Diese Sprache kannte sie nicht.
Wo war sie? Was war passiert? Das leise Greinen eines Kindes holte sie endgültig ins Hier und Jetzt. Reiner!
Als es ihr schließlich gelang, die Augen zu öffnen, war es schummrig. Erst dachte sie, das läge an ihrem Zustand, aber dann bemerkte sie, dass es um sie herum in der Tat recht dunkel war. Sie lag auf dem Rücken. Schwerfällig versuchte sie, sich auf die Ellenbogen zu stützen. Aus der Dunkelheit tauchte eine Hand auf, die sie sanft an der Schulter nach unten drückte. Erika versuchte, die Hand abzuwehren, fiel aber unbeholfen zurück auf den Rücken.
»Reiner? Wo ... wo ist mein Kind?«
»Frau liegen bleiben«, sprach jetzt dicht an ihrem Ohr eine Stimme zu ihr. Ihr Ton war leise und rau, und Erika drehte den Kopf in dem Versuch zu erkennen, wer da neben ihr saß. Aus dem Dämmerlicht zeichneten sich allmählich die Konturen einer Gestalt ab. Jetzt erkannte sie zwei mandelförmige, dunkle Augen in einem runden Gesicht. Erschrocken wich Erika zurück.
»Wo bin ich?« Langsam kehrten ihre Erinnerungen zurück. Das Boot. Sie war geflohen von der Plantage. Der Fluss, das Boot hatte gewackelt. Reiner. Als hätte die Gestalt Erikas Gedanken gelesen, stand sie auf und verschwand kurz im Dunkeln. Erika versuchte sich aufzurichten. Das leise Geplapper, welches sich nun aus dem Dämmerlicht näherte, kannte sie nur zu gut. Ihr Herz machte einen Sprung. »Reiner!«
Erika stemmte sich wieder auf die Ellenbogen und sah ihren Sohn auf ihr Lager zukommen. Sie streckte ihm die Arme entgegen und spürte dankbar seine Wange in ihrer Hand. Schnell krabbelte Reiner zu ihr auf das Lager und schmiege sich an sie. Erika war wie benommen vor Glück. Reiner war nicht ertrunken! Über und über bedeckte sie sein helles Haar mit Küssen, während Tränen der Freude über ihre Wangen liefen. Reiner war nicht ertrunken. Sie war nicht ertrunken. Im Stillen dankte sie Gott.
Aber wo war sie? »Frau essen«, meldete sich die Stimme neben ihr. Erika schüttelte den Kopf. Sie hatte keinen Hunger. »Frau muss essen.« Die Gestalt erhob sich und entfernte sich dann. Erika versuchte, sich zu orientieren. War sie in einer Hütte?
Nein, es schien sich eher nur um ein Dach zu handeln, unter dem sie lag. In der Richtung, in die die Gestalt verschwunden war, konnte sie durch die offene Giebelwand das dunkle Grün des Waldes erkennen.
Reiner, der sich neben sie gekuschelt hatte, plapperte unentwegt. Erstaunt bemerkte Erika, dass auch ihr Sohn, abgesehen von zahlreichen bunten Ketten um seinen Hals, vollkommen nackt war. Er deutete stolz auf die vielen bunten Perlen und Muscheln und winkte dann der Person zu, die wieder den Raum betrat.
Erika erkannte nun, dass es sich um eine Frau handelte – ihre großen, schlaffen Brüste waren unbedeckt, und bis auf einen Lendenschurz war die Frau nackt! Sie hatte eine gedrungene Gestalt, ihre Haut war rötlich, sie war also weder Sklavin noch Weiße. Die glatten und tiefschwarzen Haare waren an der Stirn zu einem geraden Pony geschnitten, hinten hingen sie offen bis über die Schultern. Erika wandte beschämt den Blick ab. Sie hatte sich nie richtig an den Anblick nackter Haut gewöhnen können – in ihren Augen liefen schon die Sklavenfrauen recht freizügig umher, diese Frau hingegen ...
Sie trug einen Korb in den Händen, den sie Erika nun mit einem aufmunternden Blick hinhielt.
»Hier, Frau essen!« Mit diesen Worten stellte sie den Korb neben Erika ab.
Reiner griff gleich ungeniert hinein und stopfte sich eine Art Mehlfladen in den Mund. Erika betrachtete ihren Sohn zärtlich. Er schien dieses Essen bereits zu kennen.
Erika verspürte immer noch keinen Hunger, auch wenn sie ahnte, dass das Essen ihrem Körper guttun würde. Ihr brannte eine Frage auf den Lippen: »Wo bin ich?«
»Frau in Fluss gefallen. Männer der Oayanas auf Jagd finden Frau an Boot, im Boot kleiner Mann.« Die Frau tätschelte Reiner liebevoll die Wange und gab ihm noch
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