Im Land der Orangenbluten
fröhlich am Tisch erschienen. In der Hand hielt sie eine Einladung von Valerie: Jetzt, wo Martin einige Monate alt war, bestand die Familie Fiamond darauf, ihren Urenkel und Großneffen endlich zu Gesicht zu bekommen. Martina plapperte begeistert. Eine Fahrt in die Stadt, darauf hatte sie schon lange verzichten müssen! Als sie aber ganz selbstverständlich eröffnete, dass Julie sie begleiten sollte ...
»Das würde dir so passen!« Böse funkelte Karl Julie über den Tisch an. »Damit du dich gleich wieder diesem Schreiberling in die Arme werfen kannst – nein! Du bleibst hier.«
»Aber Vater!« Martina war nicht bereit, das Feld kampflos zu räumen. Dabei ging es ihr weniger um Julie als vielmehr um ihre eigenen Interessen.
»Juliette muss mit!«, sagte sie bestimmt. »Wer soll sich denn sonst um Martin kümmern?« Sie setzte sich an den Tisch und fing an zu essen. Für sie war die Sache klar. Nicht so für ihren Vater.
»Du hast doch dein Negermädchen mit. Das kann sich kümmern.«
»Liv? Ach, Vater, sei nicht albern, du weißt selbst, was Martin veranstaltet, wenn Liv versucht, ihn zu nehmen.«
Liv war inzwischen zum lebenden Schatten Martinas geworden. Sie verrichtete alle Arbeiten gehorsam und ertrug Martinas ewige Nörgelei mit Gleichmut. Mit dem Nachwuchs ihrer Misi hatte Liv aber in der Tat zu kämpfen, Martin schrie in ihren Armen aus Leibeskräften. Eigentlich durfte niemand außer Martina und Julie nach ihm greifen, wenn man die Sache richtig betrachtete.
»Dann soll Pieter dir helfen.«
Pieter gab ein leises Husten von sich. »Ach, Karl, also, ich denke ...«
Karl machte eine wegwerfende Handbewegung. Er machte keinen Hehl daraus, dass er sich der väterlichen Unfähigkeit seines Schwiegersohnes bewusst war.
»Dann bleibst du eben auch hier, Martina«, sagte er barsch. Damit war für ihn das Thema beendet.
Martina aber brauste auf. »Vater! Du kannst Großmutter ihren Urenkel nicht ewig vorenthalten! Die Leute reden schon in der Stadt!«
Karl blickte auf. »Wer sagt das? Deine Tante?« Er wusste sehr wohl, dass nach seinem nächtlichen Auftritt auf Martinas Hochzeit einige Gerüchte kursierten.
»Ach, Vater, bitte, ich würde gerne mal wieder in die Stadt fahren und ...«
»Wir fahren alle zusammen!« Karl stand entschieden auf und verließ den Raum.
»Wir?« Martina sah verwundert zu Julie. Die jedoch zuckte nur die Achseln.
Diesmal waren es zwei Boote, die an einem Dienstag im Februar von Rozenburg ablegten. Im ersten befanden sich Martina, Martin, Pieter und Liv sowie Unmengen Gepäck, insbesondere für das Baby. Im anderen Boot saßen Julie, Karl, Kiri und überraschenderweise auch Aiku, den Karl für gewöhnlich während seiner wöchentlichen Stadtbesuche auf der Plantage zurückließ.
Jetzt starrte Julie sehnsüchtig vom Balkon des Hauses auf die Straße. Karl würde in der Stadt sicher nichts mit ihr unternehmen. Und er würde sie nicht allein ziehen lassen.
Von Martina war keine Abwechslung zu erwarten. Sie hatte gleich nach der Ankunft eine Kutsche zum Haus der Fiamonds genommen und ihrem Vater eröffnet, sie werde bei Valerie wohnen, mit dem Argument, sie könne Martin nicht ständig hin und her schleppen und würde bei Bedarf nach Julie rufen lassen. Karl hatte gegrollt, ließ seine Tochter aber gewähren.
Julie hatte sich schon damit abgefunden, dass dieser Stadtaufenthalt für sie eher ein Schauspiel werden würde, welches sie sich vom Balkon des Hauses ansehen musste, als Foni die Ankunft eines kleinen, staksigen Sklavenjungen vermeldete. Der Junge starrte verschüchtert auf seine nackten Füße und überreichte unterwürfig eine Nachricht für die Misi Juliette. Julies Herz pochte plötzlich bis zum Hals. Sie ließ dem Sklavenjungen eine Orange geben, dankte ihm und schickte ihn fort.
War die Nachricht von Jean? Wusste er, dass sie in der Stadt war? Nein, er würde es nicht wagen, sich zu melden, solange Karl im Hause war. Auf wackligen Beinen ging sie in den Salon und setzte sich in einen der Sessel. Mit zittrigen Fingern öffnete sie den Umschlag und erblickte die Schrift einer Frau. Einen kurzen Moment musste Julie mit ihrer Enttäuschung kämpfen.
Karl sah unwirsch von seiner Zeitung auf. »Von wem ist das?« Julie spürte sein Misstrauen. Sie war sich sicher, dass er davon ausging, sie warte nur auf eine Gelegenheit, sich mit Jean zu treffen.
Julies Augen wanderten an das Ende des Blattes. »Von Martina!«
Gleich wanderten ihre Gedanken zu Martin: War etwas
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