Im Land der Orangenbluten
ließ ihr keine Ruhe, und so verließ Julie die Veranda und lief um das Haus herum in Richtung Sklavendorf.
Dort war es verdächtig still. Keine Kinder tollten umher, und auch nur wenige Frauen saßen vor den Hütten an den Kochstellen. Julie steuerte die Hütte von Mura an und rief nach der Sklavin. Mura erschien gleich mit überraschtem Gesichtsausdruck aus dem Dämmerlicht ihrer Behausung. »Misi Juliette?«
»Mura, was ist mit den Kindern? Amru erzählte, dass ...«
Aus der Hütte erklang leises Wimmern.
Julie schob sich an Mura vorbei in das Innere der Hütte. Muras Enkelkinder, zwei kleine Mädchen von drei und fünf Jahren, lagen in ihren Hängematten. Ihre dunklen Gesichter waren eingefallen, ihre Augen verquollen. Als die Kleine anfing zu würgen, eilte Mura zu ihr und hielt ihr die Stirn, während sich das Kind in eine Schale übergab. Julie überkam eine Welle des Mitleids und mit voller Wucht das schlechte Gewissen, nicht da gewesen zu sein, als man sie brauchte. Egal, was Pieter getan hatte – wäre sie auf Rozenburg geblieben, hätte sie es vielleicht verhindern können.
»Das wird nicht wieder vorkommen!« Karl war immer noch wütend auf Pieter, und es verging keine Mahlzeit, ohne dass er ihm das zu verstehen gab. Immerhin war ein Teil der Frauen einige Tage auf den Feldern ausgefallen, da sie ihre kranken Kinder pflegen mussten.
Julie hatte sich inzwischen zusammengereimt, was passiert war: Pieter hatte das, was er Forschung nannte, weiterverfolgt und sein Wissen an den Kindern ausprobiert.
»Er hat unheimlich viel gelesen«, berichtete Martina stolz.
Karl hingegen reagierte mit einer eindeutigen Anweisung: »Er soll seine Mittelchen nicht an unseren Sklaven ausprobieren.«
Pieter selbst sagte nicht viel dazu. Ihn schien es zu ärgern, dass sein erster Feldversuch fehlgeschlagen war.
»Was um Himmels willen will er denn überhaupt behandeln? Die Kinder waren doch gar nicht krank?« Julie hoffte, von Martina brauchbare Informationen zu erhalten, diese hingegen interessierte sich nicht für die Geschehnisse im Sklavendorf.
»Ach, er wollte diese neue Methode ausprobieren, damit die Sklaven eben nicht krank werden. Das Fieber ist immer so lästig. Vater stöhnt ja auch immer, dass die Sklaven dann auf den Feldern fehlen.«
Wenige Tage später belauschte Julie Pieter auf der Veranda, wie er sich bei Martina lauthals über Karl beschwerte. Sie verharrte hinter der Tür und hörte seinen Proteststurm.
»Er hat doch keine Ahnung. Ich habe die Berichte aus den Niederlanden intensiv studiert und mich strikt an die Ratschläge von Dr. Joventus gehalten. Er hat damit in Indien schließlich gute Erfolge erzielt.«
»Vielleicht sind die Inder anders als unsere Sklaven?«, erwiderte Martina, während sie Martin auf den Knien schuckelte. Durch die Vorhänge beobachtete Julie, wie der Kleine seine Ärmchen nach Pieter ausstreckte. Sein Vater jedoch reagierte überhaupt nicht, wie so oft. Eigentlich ignorierte Pieter das Kind gänzlich, außer Karl war zugegen.
Pieter schien nicht erfreut über Martinas Antwort. »Was weißt du schon!« Mit einer wegwerfenden Handbewegung verließ er die Veranda in Richtung Garten.
Julie atmete auf, dass er nicht ins Haus gegangen war. Sie wartete einen Moment und betrat dann die Veranda, bemüht, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie gelauscht hatte. Martin krähte gleich, als er Julie sah, und streckte ihr nun die Ärmchen entgegen.
»Na, junger Mann? Wie geht es dir heute?« Julie setzte sich neben die beiden.
Martina schaute noch einen Moment in die Richtung, in die Pieter verschwunden war. Dann seufzte sie kurz und wandte sich Julie zu. »Sind die Negerkinder wieder wohlauf?«
Julie war verblüfft über Martinas plötzliches Interesse.
»Ja, sie haben es gut überstanden.«
»Ach, Juliette, Pieter wollte doch nur helfen. Ob Vater ihm das je verzeihen wird?«
Natürlich beruhigte Karl sich wieder. Nach ein paar Wochen schien der Vorfall vergessen, und alles auf der Plantage ging seinen gewohnten Gang. Julie ließ es sich nicht nehmen, sich wieder täglich im Sklavendorf blicken zu lassen. Auch Karl beobachtete seine Sklaven intensiver. Ob er Angst hatte, Pieter würde ohne seine Erlaubnis nochmals ein Experiment wagen? Julie wusste es nicht. Ihr bereitete etwas ganz anderes Sorge. Sie wurde morgens von einer seltsamen Übelkeit befallen, und ihre Stimmung schwankte wie eine Palmenkrone im Wind. Im einen Moment war sie guter Dinge, im anderen kämpfte sie
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