Im Land der Orangenbluten
keiner freundlichen Ansprache rechnen. Aber wann konnten sie das überhaupt jemals?
Julie erschrak, als Karl unvermittelt mit der Hand auf das hölzerne Verandageländer schlug. Ein kurzes, gehässiges Lächeln umzuckte seinen Mund, als er die Hand nun hob und darunter der zerquetschte Körper eines großen Monarchfalters zum Vorschein kam. Julie bekam beim Anblick der kläglich zerknitterten Flügel des einstmals so hübschen Schmetterlings eine Gänsehaut.
Muras große Schar erreichte derweil den Vorplatz. Mit niedergeschlagenen Augen bezogen die Kinder der Größe nach Aufstellung. Karl ließ seinen Blick über die Gruppe schweifen und gab Mura dann mit einem fast unmerklichen Kopfnicken ein Zeichen. Die alte Kreolin erhob die Hände, und die Kinder stimmten sogleich an: »Odi Masra, odi Misi! Fai Masra dan? Fai Misi dan?«
Julie bemühte sich, den kleinen, schwarzen Kulleraugen ein aufmunterndes Lächeln zu schenken, die sich jetzt angstvoll auf Karl richteten. Ihr Mann hatte sich gemächlich erhoben und stieg nun die drei Stufen auf den Platz herunter. Sofort streckten ihm die Kinder die Hände entgegen, die Handflächen nach oben. Sie senkten die Häupter, damit er auch hinter die Ohren schauen konnte. Mehr aus Impertinenz als aus echtem Interesse klappte er dem einen oder anderen Kind unsanft mit dem Ende eines Stocks die Ohren nach vorne. Die Kinder verzogen dabei schmerzerfüllt das Gesicht, gaben aber keinen Mucks von sich. Julie hasste diesen Moment. Sie wusste, dass Mura sich inbrünstig um ihre Schützlinge kümmerte. Anstatt die Kinder zu quälen, die ohne Frage sauber waren, sollte Karl lieber seinen Aufsehern hinter die Ohren schauen, dachte sie wütend. Einige von ihnen schienen der Körperpflege gänzlich zu entsagen.
Beim letzten Buben angekommen, zögerte Karl kurz, als würde er die Hände des Jungen intensiver betrachten. Dann holte er blitzschnell aus und ließ den Stock auf dessen Handflächen niedergehen. Das harte, klatschende Geräusch ließ alle zusammenzucken.
Die Knie des misshandelten Buben gaben eine Sekunde nach, aber dann straffte er sich trotz des Schmerzes sofort wieder und blieb schwer atmend aufrecht stehen. Karl grinste, diesmal zufrieden. Genau so mochte er seine zukünftigen Sklaven: Hart im Nehmen und treu ergeben. Als er sich abwandte und wieder die Veranda ansteuerte, klatschte Mura in die Hände und trieb die Kinder eilig vom Platz. So langsam wie sie gekommen waren, so hastig sputeten sie sich jetzt, um zu verschwinden. Es brannte in Julies Hals, als sie in der Ferne sah, wie Mura dem Geschlagenen tröstend den Arm um die Schulter legte.
»Das Negerpack war auch schon mal gebärfreudiger.« Karl ließ sich schwer auf seinen Stuhl fallen und griff nach dem nächsten Glas Dram. »Sonst sind die doch wie die Ratten untereinander. Warum sie in den letzten Jahren so wenig Nachwuchs zustande gebracht haben, verstehe ich nicht.« Er nahm einen großen Schluck aus dem Glas und hielt dem allzeit bereiten Aiku die Pfeife erneut zum Stopfen hin.
Julie runzelte die Stirn und legte wie beiläufig die Hand auf ihren Bauch. Wie würde Karl auf ihre Schwangerschaft reagieren? Und, viel wichtiger: Wie sollte sie es bewerkstelligen, dass Karl glaubte, er wäre der Vater? Es gab nur einen Weg ... Würde er die Wahrheit herausfinden ... Julie schauderte.
Kapitel 6
Erika streckte sich und trat vor die Hütte.
Wie jeden Tag herrschte ruhiges, aber redliches Treiben im Dorf. Die Frauen kümmerten sich um die Lebensmittel, flochten Hängematten oder webten die knappen Lendenschurze, die hier als Kleidung getragen wurden. Die Kinder spielten zwischen den Hütten, und die Männer, die nicht zur Jagd gingen, bearbeiteten ihre Jagdwaffen oder fertigten Dinge aus Holz.
Jaminala und die anderen Frauen des Stammes hatten Erika herzlich aufgenommen. Es war, als lebe sie schon ewig hier und nicht erst ein paar Wochen. Nach anfänglichen Bedenken hatte Erika sich gut an die Umstände gewöhnt. Die Eingeborenen waren friedliebend und freundlich. Die Weiße in ihrer Mitte schien ihnen nichts auszumachen. Niemand fragte sie, woher sie kam, niemand fragte sie, ob sie fortwollte. Sie war einfach da. Erika war beeindruckt von der Einfachheit der Lebensweise dieser Menschen. Bei den Oayanas im Dorf wurde alles geteilt. Brachten die Männer Beute von der Jagd mit, bekam jede Familie etwas davon ab. Die Frauen buken immer so viel Teigfladen auf den heißen Steinen am Feuer, dass jeder zumindest ein
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