Im Land der Orangenbluten
»werden Sie wohl enttäuscht sein. Ich glaube, die beiden ...«
»Was meinen Sie?«, fragte Julie neugierig, als er nicht weitersprach.
»Sehen Sie doch selbst.« Er deutete mit seinem Glas in die Richtung der jungen Männer. »Ich glaube, sie sind sich selbst genug.«
Tatsächlich hatten Hendrik und Wim keinen Blick für das Geschehen um sich herum, geschweige denn einen Gedanken daran, Frauen im Kreis herumzuschwenken. Wahrscheinlich diskutierten sie wieder einmal intensiv die Zeitung, die sie irgendwann gemeinsam zu gründen gedachten – vom Geld ihrer Väter ...
Julie lächelte mit gespielter Empörung und schob ihre Hand unter Leevkens Arm.
»Dann ... dann muss ich die Reihenfolge wohl neu sortieren und mich an Sie halten.« Kichernd nahm sie noch ein Glas Champagner von einem Tablett, das eines der Hausmädchen eben vorbeitrug.
Leevken lächelte nachsichtig. »Es wird mir ein Vergnügen sein.«
Als die Musik erneut einsetzte, geleitete er sie auf die Tanzfläche. Julie stellte ihr Glas im Vorbeigehen einem Bediensteten auf das Tablett und warf ihren beiden Cousinen einen triumphierenden Blick zu. Dann ließ sie sich bereitwillig von ihm führen.
»Sagen Sie doch bitte Karl zu mir«, raunte er in ihr Ohr. Noch nie war sie einem Mann so nah gewesen, obwohl sie seinen Griff um ihre Schulter und ihre Hand fast als etwas zu hart, zu besitzergreifend empfand. Aber er war ein ausgesprochen guter Tänzer – Julie genoss es, unter seiner Führung, in seiner Obhut, in seinen Armen dahinzuschweben.
Kurz vor Mitternacht unterbrachen die Musikanten ihr Spiel. Onkel Wilhelm hatte sich nicht lumpen lassen und ein Feuerwerk organisiert. Julie taumelte kurz, als der Tanz endete. Ihr war ein bisschen schwindelig.
»Kommen Sie, wir gehen nach draußen und sehen uns das Feuerwerk direkt von der Veranda aus an.« Karl führte sie zur Tür, wo ihnen ein Dienstmädchen ihre Mäntel reichte. Ihr Herz schlug immer noch sehr schnell und ihr Atem bildete viele kleine Wolken in der frostigen Nachtluft. Dann geleitete Karl sie an die Balustrade der Veranda. Hier war es nun dunkel. »Ist Ihnen auch wirklich nicht zu kalt?« Ganz selbstverständlich legte er Julie seinen Arm um die Schultern und zog sie leicht an sich. Julie stockte einen Moment der Atem. Nein, ihr war nicht kalt, im Gegenteil, eine kribbelnde Hitze stieg in ihr hoch. Bevor sie etwas sagen konnte, knallten die ersten Feuerwerkskörper über ihren Köpfen, und bunter Lichtregen prasselte herab.
Während die anderen Gäste fasziniert in den Himmel starrten, wandte sich Julie nochmals zu Karl um. Sie wollte ihm sagen, wie sehr sie diesen Abend genoss. Aber bevor sie dazu kam, trafen ihre Augen wieder diesen unergründlichen Blick seiner im Dunkeln fast schwarz wirkenden Augen. Er zog sie an sich und küsste sie. Seine Lippen trafen weich und warm auf die ihren. Für einen kurzen Moment war Julie überzeugt, einer Ohnmacht nahe zu sein.
Am nächsten Tag kämpfte Julie zunächst mit einem dumpfen Kopfschmerz. Hatte sie so viel Champagner getrunken? In ihrem Kopf wirbelten die Eindrücke des gestrigen Abends nur so durcheinander. An einer Stelle aber verharrten sie immer: als Karls Lippen die ihren berührten.
Am Nachmittag traf sie im Damensalon auf ihre Cousinen. Julie wollte zunächst kehrtmachen. Sie hatte überhaupt keine Lust auf die beiden, und in ihren Schläfen pochte es noch unangenehm. Aber sie besann sich auf das Gebot der Höflichkeit und setzte sich zu ihnen.
»Tee, Juliette? Ach, was war das für eine schöner Feier gestern.« Marthas Stimme hatte einen spitzen Unterton, der nichts Gutes ahnen ließ. »Du hast dich ja prächtig mit diesem Leevken unterhalten ...«
Julie schoss das Blut ins Gesicht. Hatte Martha gar den Kuss gesehen?
Ihre Cousine aber rümpfte nur leicht die Nase und setzte ein pikiertes Lächeln auf. »Nun ja, es sei dir gegönnt, wo dir doch das Kloster bevorsteht.«
Julie erstarrte. Sie starrte ihre Cousine an. Was hatte Martha gerade gesagt? In Julies Ohren rauschte es. Kloster?
Martha hingegen schien Julies unübersehbaren Schock weiter auskosten zu wollen. »Ja, glaubst du denn, dass Vater dich auch noch verheiratet? Zunächst sind wir ja wohl dran.« Lächelnd tätschelte sie Dorotheas Arm.
Julie hörte ihre Cousinen wie aus weiter Ferne. Sie wusste nicht, welche Zukunft ihr Onkel für sie plante. Aber dass er sie in ein Kloster stecken könnte, das war ihr noch nie in den Sinn gekommen. Plötzlich packte sie eine
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