Im Land der Orangenbluten
großen blauen Kulleraugen fixierten den erwachsenen Mann erschrocken.
»Es ist unglaublich! Der König will tatsächlich die Sklaverei abschaffen lassen. Jetzt wurde eine Kommission gebildet, und die berät nun, was zu tun ist. Was denken die eigentlich, was aus der Kolonie wird, wenn wir keine Sklaven mehr halten dürfen?«
Misi Martina zuckte nur mit den Achseln und widmete sich weiter ihrem Frühstück. »Pieter, reg dich doch nicht auf, der König sitzt in Europa, und der Gouverneur wird das schon regeln.«
»Ach, das ist doch auch so ein Negerfreund! Du würdest dich umgucken, wenn du dich plötzlich selbst anziehen müsstest.«
Woraufhin Misi Martina ihren Mann in der Tat kurz verwundert anstarrte. Kiri hätte fast gelacht, und auch Liv, die gerade dem kleinen Masra Martin sein Frühstück in mundgerechte Stücke zerteilte, verzog kurz belustigt das Gesicht, senkte dann aber schnell den Kopf.
Sichtlich erbost verließ Masra Pieter den Tisch. Misi Martina bedeutete Liv, auf Masra Martin aufzupassen und verließ ebenfalls den Raum.
Als die Herrschaften verschwunden waren, atmete Kiri erleichtert auf. Sie hatte immer noch Angst vor Masra Pieter – obwohl der sie schon seit Monaten nicht mehr behelligt hatte. Dass sie ihn tagtäglich sehen und der Familie dienen musste, machte das Ganze nicht leichter.
Auch Liv entspannte sich etwas. Sie war nun schon sehr lange Misi Martinas Leibsklavin und inzwischen auch für Masra Martin zuständig, aber so recht schien die junge Frau sich daran nicht zu gewöhnen.
»Die Sklavenhaltung abschaffen ...« Liv schüttelte den Kopf. »Das wird doch nie passieren.«
»Aber wenn es doch schon in der Zeitung steht?«, wandte Kiri hoffnungsvoll ein.
»Ach, Kiri – hörst du nicht, was da ab und an für Zeug drinsteht? Erinnere dich doch mal, was Masra Karl früher manchmal vorgelesen hat: Angeblich gibt es Boote, die unter Wasser fahren, und in Europa soll es Kutschen ohne Pferde geben, die dafür mit Dampf oder so fahren. Ich glaube das alles nicht.«
Kiri hingegen wollte es gerne glauben. Was sie alles tun könnte, wenn sie frei wäre ...
Als Kiri später während Masra Henrys Mittagsschlaf zum Sklavendorf hinüberging, stutzte sie. Sie sah bereits von Weitem einen Menschenauflauf, und als sie näher kam, bemerkte sie, dass sich zwei Seiten gegenüberstanden. Neben Masra Pieter standen die Basyas mit Peitschen und Hunden, auf der anderen Seite die Arbeitssklaven, allen voran Jenk. Kiri blieb stehen. Es war besser, jetzt nicht dorthin zu gehen. Hatte es in den letzten Tagen immer schon schwelende Proteste gegeben, die von den Basyas mit der Peitsche sofort niedergemacht wurden, so hatte sich heute das ganze Sklavendorf versammelt. Sie versuchte, aus dem Gewirr von Stimmen etwas zu verstehen. Offensichtlich war soeben ein weiterer Mann nach Masra Pieters Behandlung gestorben. Kiri bekam Angst und rannte so schnell sie konnte zurück zum Plantagenhaus, wo sie nach Amru rief. Selbst Misi Martina tauchte auf.
»Was ist hier denn für ein Krach?« Als sie sah, dass Amru alles stehen und liegen ließ und aus dem Haus eilte, folgte sie ihr verwundert.
Als die Frauen am Sklavendorf ankamen, hatte sich der Streit verschärft. Masra Pieter stand mit hochrotem Kopf da und zeigte mit dem Finger immer wieder auf Jenk, wobei er schrie: »Du mit deinem Hokuspokus hast mir die Sklaven doch jetzt widerspenstig gemacht. Sorg dafür, dass sie wieder an die Arbeit gehen. Sofort!«
Jenk hob nur hilflos die Arme. »Masra, ich kann auch nichts dafür, die Männer haben Angst vor ...«
Masra Pieter griff nach der Peitsche des Basya, riss sie ihm aus der Hand und schlug auf Jenk ein. Der Mann blieb am Boden liegen. Neben Kiri stieß Amru einen leisen Schrei aus und wollte losstürmen. Kiri hielt sie geistesgegenwärtig zurück. Die anderen Sklaven wichen einen kurzen Moment zurück, um sich dann aber wieder geschlossen aufzustellen. In den Gesichtern der Männer sah man, dass sie es dieses Mal absolut ernst meinten.
»Wenn ihr nicht sofort losgeht, lass ich die Hunde losmachen!« Masra Pieters Stimme überschlug sich fast.
Selbst die Basyas sahen sich hinter seinem Rücken kurz verwundert an. Die Hunde waren darauf abgerichtet, jeden Sklaven zu beißen, den sie zu packen bekamen. Sie im Wald laufen zu lassen, um Flüchtige zu suchen, das war eine Sache, aber sie auf der Plantage, im Sklavendorf loszumachen? Das würde in einer Katastrophe enden. Die Basyas hatten sonst den Befehl, jeden
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