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Im Land der Regenbogenschlange

Im Land der Regenbogenschlange

Titel: Im Land der Regenbogenschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Altmann Andreas
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zusetzen. Manche, Männer wie Frauen – darf man so denken? –, wollen missbraucht werden. Anders ist nicht zu erklären, warum man jene nicht umgehend verlässt, die einen entwürdigen.
    Nach dem Essen lade ich die gescheite Australierin, die irgendwann mit ihrer Kunst Geld verdienen will, zu einem Strandbesuch ein. Viel mehr Aufregungen gibt es nicht. Wir machen aus, dass wir waffenlos, ja wehrlos aufbrechen, Messer und Gabel auf dem Tisch liegen lassen und wie Mann und Frau miteinander umgehen, die nur Gutes im Sinn haben. Das Glück verfolgt uns. Der Mond leuchtet und nirgends ein bellender Hund. Der Sand ist noch warm von der Hitze des Tages. Wieder ist die Welt, wie sie sein soll.

Weiter. Nochmals zwei Stunden mit dem Bus Richtung Norden und frühabends in Kalbarri ankommen. Fischerdorf und (vorletzte) Ruhestätte für wohlhabende Rentner, die entschlossen die Grundstückspreise in die Höhe treiben. Ansonsten still, friedhofsstill. Nur die Wellen. Die letzte Dramatik, eine ungeheuerliche Dramatik, fand vor 378 Jahren statt, etwas außerhalb des Ortes. Und deshalb darf keiner Kalbarri übersehen. Hier in der Nähe fand der erste Massenmord statt. An Weißen. Gemetzelt von Weißen. Die Geschichte muss erzählt werden. Auch Deutsche und deutsches Handwerk waren daran beteiligt. Die Story berichtet von allem, was Menschen ausmacht. Von ihrer Würde, ihrer Güte und Tapferkeit, von ihrer Niedertracht und Bestialität.
    Hier die Vorgeschichte, die zum 15. November 1629 geführt hat. Ende Oktober 1628 verlässt die Batavia holländisches Gewässer, Ziel sind die East Indies , das heutige Indonesien, damals eine Kolonie der Niederlande. Um in Batavia, der damaligen Hauptstadt, zwölf wuchtige, randvoll mit Silber und »Geschmeide« gefüllte Kisten abzuliefern. Ein Vermögen, ein Märchenschatz. Das fünfzig Meter lange Segelschiff war das nagelneue Prunkstück der Verenigde Oostindische Compagnie , der damals mächtigsten Handelsflotte der Welt.
    Unter den 350 an Bord gab es auch fünfzehn Frauen. Eingeschmuggelt. Die Soldaten, meist deutsche Söldner, sowie Seeleute und Handwerker teilten sich das Unterdeck. Rohes Gesindel und rohe Zustände, insgesamt vier Latrinen, dazu der Platzmangel, die Hitze, die Feuchtigkeit, der Gestank, die Ratten, das Ungeziefer, die verdorbene Nahrung und die sadistische Disziplin, die – welch wüste Zeiten – Homosexualität mit dem Tode bestrafte. Die Elite lebte nicht in feinen, aber feineren Umständen, sogar ein »Nachttopf-Service« stand zur Verfügung. Wie sich zeigen sollte, waren die etwa fünfzig feinen Herrschaften nicht weniger verroht als jene, die sie kommandierten. Natürlich gab es unter ihnen, wie bei jenen zwei Stock tiefer, eine Minderheit, die sich unterschied.
    Es stinkt von Anfang an. Die vier Namen der Hauptdarsteller gingen in die Geschichte ein: Commandeur Francisco Pelsaert steht auf schlechtem Fuß mit seinem Steuermann Ariaen Jakobsz und einem dubiosen Apotheker namens Jeronimus Cornelisz, der sich während der Reise mit Jakobsz verbündet. Alte Feindschaften, alte Ressentiments. Von allen drei begehrt wird die junge Aristokratin Lucretia van der Mijlen, deren Schönheit, so heißt es, einen »desaströsen Eindruck« auf ihre Umgebung ausübte. Sie war unterwegs zu ihrem Mann, einem Beamten der Kolonialmacht.
    Am 3. Juni 1629 passiert, was nicht hätte passieren dürfen. Die Batavia rammt ein Reef, keine 60 Kilometer vor der Küste. Man wusste von der Terra australis incognita , aber es gab keine Karten, zudem war es Nacht. Als sich am Morgen trotz intensiver Anstrengungen herausstellt, dass das Schiff nicht zu retten ist, stürmen ein paar Dutzend die Vorratskammern, stehlen den Tabak, betrinken sich, mästen sich, feiern den Untergang der Welt. Etwa fünfzig sind bereits ertrunken, der Rest hat Glück (wenn es denn eines ist), die Abrolhos Islands befinden sich ganz in der Nähe. Eine Inselgruppe, die zehn Jahre zuvor von einem Holländer entdeckt worden war. Die Überlebenden werden auf ein Eiland geschafft, 400 mal 200 Meter, das unter dem sinnigen Namen »Batavias Totenacker« berühmt werden sollte.
    Pelsaert sieht nur eine Lösung, um die (geringen) Überlebenschancen für alle zu nutzen: Mit dem lausigen, zehn Meter langen »Rettungsboot« versuchen, die über 3000 (sic!) Kilometer entfernte

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