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Im Land der Regenbogenschlange

Im Land der Regenbogenschlange

Titel: Im Land der Regenbogenschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Altmann Andreas
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Stadt Batavia zu erreichen, den Außenposten der Kompanie. So stechen in der vierten Nacht vierzig der handverlesen besten Seeleute plus zwei Frauen, ein Baby, Skipper Ariaen Jakobsz und der Kapitän in See. Schwer überladen. Heimlich.
    Das ist die Geburtsstunde eines Monsters. Jeronimus Cornelisz reißt das Kommando über die Gestrandeten an sich, umgibt sich mit einer Garde bemühter und talentierter Schlächter und beginnt zügig, die Bewohner seines Inselreichs zu dezimieren. Ertränken, totknüppeln, erdrosseln, zerhacken. Drei Motive befeuern ihn: überflüssige Esser zu eliminieren, die Schatzkisten zu heben und das Boot zu kapern, das (voraussichtlich) aus Java zurückkehren wird, sprich, als reicher Mann in die Freiheit zu segeln. Vieles gelingt ihm, 125 Morde an Mann, Frau und Kind gehen auf sein Konto, er zwingt sogar die schöne Lucretia in sein Zelt, auf seine Matratze. Sie muss wohl, denn die ihr von Cornelisz angebotene Alternative lautete Vergewaltigung durch seine Soldateska.
    Pelsaert, der Held, kommt nach dreieinhalb Monaten zurück und tritt in einem Augenblick auf, der in ein Drehbuch gepasst hätte: Während in den Mittagsstunden des 17. September 1629 wieder die Henker mit Musketen gegen die nur mit Prügel und Äxten bewaffnete »Zivilbevölkerung« der Mini-Insel antreten, um ein für alle Mal den Widerstand zu brechen, genau in jenem Moment, in dem der Kampf endgültig verloren scheint, taucht Pelsaert mit einem schnellen neuen Schiff am Horizont auf.
    Kurzer Prozess. Jeronimus Cornelisz wird gefoltert – niederländisches Gesetz verlangt ein Geständnis – und verstümmelt. Als seine beiden amputierten Hände neben dem Holzblock liegen, wird er gehenkt. Noch in der Luft zappelnd ruft er: »Rache, Rache!« Sechs Komplizen werden ebenfalls standrechtlich zum Tode verurteilt und exekutiert. Am 15. November verlässt Pelsaert die Abrolhos-Inseln. Mit neun wiedergefundenen Silberkästen, siebzig Überlebenden und sechzehn kettengefesselten Schindern.
    Und jetzt kommt der Clou, und deshalb verlangt Kalbarri einen Pflichtbesuch.
    Am nächsten Morgen mache ich mich auf den Weg. Da ich früh unterwegs bin, bin ich ohne Eile. An einer Restauranttür steht Breakfast , das ist eine gute Nachricht. Ich trete ein und darf wieder bezeugen, wie nah Tragik und Schwachsinn nebeneinander liegen, ich frage:
    â€“ Good morning, could I have a cup of coffee, please?
    â€“ For breakfast?
    â€“ No, for dinner.
    (Die Antwort war nicht zu unterdrücken, sorry.)
    Gut, dass ich der Fassungslose bin. Diese Grundhaltung hilft, um cool in jeden Abgrund starren zu können.
    Ich wandere die acht Kilometer, bis ich vor einem Schild stehe, das auf den Wittecara-Creek verweist. Nach ein paar Schritten rechts ab gelangt man zu dem Gedenkstein, der an einen höchst denkwürdigen Tag erinnert. An jenen 15. November 1629, an dem Pelsaert plötzlich beschloss, zwei der sechzehn Missetäter nicht in Batavia abzuliefern, sondern sie hier – er nannte den Küstenabschnitt »Roode Houk«, roter Felsen – an Land auszusetzen: den Soldaten Wouter Looes und den sehr jungen Jan Pelgrom. Sie bekamen etwas Wasser, eine Tasche voll (falschem) Schmuck und kleine hölzerne Spielsachen, »Nurenbergen« genannt, nach der Stadt, in der sie hergestellt wurden. Als Tauschware, sollten sie auf Ureinwohner stoßen. Es gibt keine Aufzeichnungen darüber, warum sich Pelsaert dazu entschied, die beiden bereits zum Tode Verurteilten hier zu »entlassen«. Aus Milde? Looes hat nach Zeugenaussagen versucht, das Morden zu bremsen. Aber Pelgrom? Der Teenager hat Cornelisz angebettelt, auch töten und hinrichten zu dürfen. Vielleicht sein Alter? Eher unklar. Ganz klar und wissenschaftlich nicht zu widerlegen: Die zwei waren – aberwitzigerweise ausgerüstet mit Spielzeug aus Nürnberg – die ersten europäischen Siedler in Australien.
    Hier sieht es gut aus, ein Bach fließt, Bäume geben Schatten, die starke Sonne wird durch den Wind gemildert. Die Möglichkeit zu überleben war real. Wie zu erwarten, gibt es keine weiteren Spuren von dem Duo, keine schriftlichen Nachrichten. In Geraldton sprach ich mit Andrew Pascoe, einem Journalisten, der für das dortige Lokalblatt arbeitet. Er hatte einen interessanten Artikel über aktuelle Untersuchungen australischer und holländischer Wissenschaftler

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