Im Land der Regenbogenschlange
Rechthaber, oft abwesend, oft beim Saufen. Die heute 18-Jährige wurde als Baby adoptiert, sie hat keine Ahnung (und kein Interesse daran, es zu erfahren), wer ihre tatsächlichen Eltern sind. Die Freigabe zur Ad0ption empfand sie als Verrat, und mit Verrätern, erklärt sie, will sie nichts zu tun haben.
Vier Monate nach dem Begräbnis (sie selbst hat den Unfall schwerverletzt überstanden) haut sie ab, zwei Tage nach ihrem elften Geburtstag. Fünf Jahre Grundschule liegen hinter ihr, sie kann lesen und schreiben. Und Motorrad fahren. Mit einer alten Norton braust sie an einem frühen Sonntagmorgen von der Farm, ohne einen letzten Blick zurückzuwerfen. Sehr früh, meint sie, habe sie gelernt, von Zuständen zu lassen, die sie »fesseln«. Mit den dreihundert von der Mutter geerbten Dollar beginnt sie ein anderes Leben.
Sie weià instinktiv, wie mit den neuen Verhältnissen umzugehen. Sie fährt in die nächste Stadt und kauft die Zeitung, überfliegt die Kleinanzeigen, bekommt Stunden später ihren ersten Job: dogwalker , führt die Hunde der Reichen aus. Bei einem der Spaziergänge kommt sie an einem car yard vorbei, bei einem Autohändler mit gebrauchten Modellen. Dieser Moment war, so sagt sie im Rückblick, ihre »illumination«, die Erleuchtung: Verkaufen! Sie geht ins Büro und stellt sich vor, will auch Blechkisten unters Volk bringen. Als der Boss sie nach Referenzen fragt, fordert sie ihn auf: »Teach me!«, bring es mir bei. Er macht es zwei Mal vor, dann kann sie es besser als alle anderen. Bauernschlau erkennt sie die Schwachpunkte des Kunden, seine geheimen Wünsche, seine Sehnsüchte, bearbeitet skrupellos sein subconscious , sein Unterbewusstsein. Damals hatte sie das Wort noch nie gehört, heute weià sie davon.
Ihr Alter ist ein Problem. Oft fragt keiner danach, da sie auch in körperlicher Beziehung schneller ist als Gleichaltrige. Fragt einer doch, dann zieht sie sich zurück. Bekommt sie kein Zimmer in einem Motel, dann versucht sie es bei einem anderen. Wird sie auch dort abserviert, dann schläft sie im Freien, auf Bahnhofsbänken, in einer Scheune. Ihr Verlangen nach Selbstbestimmung ist nicht verhandelbar. So redet sie.
Sie beginnt door knocking , zieht von Tür zu Tür, um Leuten »was anzudrehen, was sie nicht brauchen«. Da sie noch keine Verträge unterschreiben darf, begleitet sie ein »Ass«, einen, der in der Branche als einer der Besten gilt. Erin kapiert rasant, speichert die Bewegungen, den Tonfall, die Pausen, schaut alles ab, will auch Ass werden. Mit 16 trifft sie einen Iren, der inzwischen Australier geworden ist, sprich, unterschreiben darf. Sie lernt ihn an, die beiden reisen von Ort zu Ort, sie wird »his friend, but not his girlfriend«. Obwohl sie frühreif ist, hält sie sich sexuell zurück. Und Laughlin, der Ire, respektiert das. Sie tragen sogar Verlobungsringe und leben wie Bruder und Schwester. Zwei Jahre lang, dann will der Verlobte in die USA , sie trennen sich.
Jetzt ist Erin volljährig, jetzt bremst sie keiner mehr. Sie übernimmt Kommissionen von verschiedenen Firmen, Mobiltelefone, Waschmaschinen, Stromversorger, Autos, Bausparverträge, Lebensversicherungen, Rasenmäher, Motorräder, Immobilien etc., das Verkaufsgenie zieht von Haus zu Haus, klingelt und schlägt zu. Wie überall sind sie auch in Australien misstrauisch gegenüber Leuten, die dastehen und hausieren. »I must pitch the client«, Erin weià es, sie muss den Kunden überrumpeln. Wichtig, dass die Tür aufgeht und sie reinkommt. So fragt sie scheinheilig nach einem Glas Wasser oder â will sie einen neuen Stromversorger verkaufen â fordert den Wohnungsbesitzer auf, den alten Vertrag zu holen. So lässt er die Tür los und sie übertritt, »wie aus Versehen«, die Schwelle. Die Amazone erfährt jeden Tag, dass sie etwas loswerden will, was der andere nicht oder nicht unbedingt benötigt. Siehe den Fall eines neuen Telefonanbieters. Der Klient will nicht wechseln, er hat sich an die bisherige Firma gewöhnt, warum also ein neuer Deal?
Vordringlich ist, und Erin hat es sich tausendmal eingebläut: das Unterbewusste des Opfers zu erreichen. Dafür hat sie sich ein Set von hook lines zurecht gelegt, Zeilen, die wie Widerhaken reinfahren. Einfache Zeilen, einfache Worte, penetrant wiederholt: »Schauen Sie, das ist billiger!«, »Das macht
Weitere Kostenlose Bücher