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Im Land der Regenbogenschlange

Im Land der Regenbogenschlange

Titel: Im Land der Regenbogenschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Altmann Andreas
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medizinische Versorgung angeboten. Vor Jahren habe ich ein Buch des Humanisten gelesen, der pomphafte Titel – Between Ignorance and Enlightenment – mag abschrecken, denn an »Erleuchtete« will ich auch nicht glauben, aber der Inhalt ist gebrauchsfähig, nimmt Bezug auf heutige Zeiten, redet komplex über komplexe Zustände. Kein abgehobenes Gesums – »Du bist Buddha, ich bin Buddha, wir alle sind Buddha« –, nein, durchaus weltnah, wirklichkeitsnah. Ich habe mir damals mehrere Sätze herausgeschrieben, auch diesen: »Das bestimmende Gut des Menschen ist seine Würde.« Ein anstrengender Satz, er soll wohl wie ein Mantra helfen, wenn man sich bei dem Gedanken ertappt, dass das Gegenteil auch wahr sein könnte. So wahr wie die eigene Würdelosigkeit.
    Die Nan-Tien-Anlage umfasst Unterrichtsräume, Büros, Meditationshallen, Unterkünfte für Gäste und Novizen, viel Grün, viel Natur, eine Kantine. Vor dem Betreten der Great Mercy Hall wird darum gebeten, den Kaugummi aus dem Mund zu nehmen und – was für ein charmanter Ausdruck – ein noble silence zu respektieren. Morgen werde ich in der Zeitung eine Studie von Wissenschaftlern der Universität Adelaide lesen, in der (einmal mehr) nachgewiesen wird, dass stetig praktizierte Meditation smarter macht, bewusster, mehr Swing in den Alltag bringt.
    Nach der noblen Stille gehe ich ins Tea-House. Da kein Tisch mehr frei ist, setze ich mich neben eine Asiatin, die sanft lächelt, als ich frage, ob noch Platz sei. Ein Lächeln, das bedingungslos zustimmt. Wir werden über vier Stunden nebeneinander verbringen, weil sie – o.k., ich muss sacht drängen – von ihrem Leben in Vietnam erzählen wird. Mein Hinweis, dass ich vor Kurzem durch ihr Land reiste, schafft Vertrauen, verkürzt die Scheu.
    Ich habe überlegt, ob ich die Story hier veröffentliche, in einem Buch über Australien. Mich letztlich dafür entschieden. Weil die Geschichten der Männer und Frauen, die sich auf diesen Erdteil retteten, zum Besten gehören, was er zu bieten hat. Zudem verschlägt Thảos Erzählung jedem Zuhörer den Atem. Denn sie ist ein Tatsachenbericht aus einer modernen Welt, mit Liebe und dem Verrat der Liebe, mit Vertrauen und dessen Verlust, mit dem schieren Willen zu leben, trotz allem, trotz alledem.
    Seit einem Jahr lebt die 55-Jährige hier, nicht weit von Wollongong. Sie ist bereits als politischer Flüchtling anerkannt und muss nicht mehr fürchten, zurück in ihre Heimat deportiert zu werden. Sie arbeitet als Verkäuferin, sie ist zufrieden, kommt über die Runden. Ihr Mann lebt auch hier, aber woanders. Sie haben keinen Kontakt mehr. Der Reihe nach.
    Mit 21 heiratet sie, als Jungfrau. Nicht ein Wort fiel im elterlichen Haus über Sex. Als die unbedarfte (und analphabetische) Braut nach der Hochzeitsfeier wieder in ihr Kinderzimmer zurückkehren will, klärt sie der Vater darüber auf, dass sie in Zukunft im Bett ihres Mannes schlafen muss. Für die ersten sechs Nächte nach der Trauung bekommt Trung frei, ansonsten ist er Soldat der südvietnamesischen Armee. Des Öfteren verwechselt er die Ehe mit dem Krieg gegen die Kommunisten, Eifersucht lässt ihn mehrmals zur .45er greifen und abfeuern. Einmal geht einer seiner »Warnschüsse«, so nennt er das, am Kopf seiner Frau vorbei. Seitdem ist sie auf dem rechten Ohr schwerhörig. Als der Vietcong im April 1975 Saigon einnimmt, sind ihr Vater und ihr Bruder bereits gefallen, Scharfschütze Trung jedoch kam davon, flieht per Boot nach Australien, ein Höllenfahrtskommando. Thảo bleibt zurück, die Überfahrt wäre zu riskant für das vier Monate alte Baby.
    Das Überleben beginnt. Thảo jobbt als Marktfrau. Ihr Hass auf den Kommunismus wächst, die Rache der Sieger nährt ihn täglich. Drei Jahre nach ihrem Mann bereitet sie die eigene Flucht vor, nach Hongkong. Das ist näher und kostet weniger. Sie fährt zum Mekongdelta, hört sich um, kommt mit Fischern ins Gespräch. Es dauert, bis sie ihr vertrauen, sie könnte ja ein Spitzel sein. Irgendwann steht der Plan. Sie soll nach VÅ©ng Tàu gehen, ein rotes Hemd tragen und in einem bestimmten Café warten, bis ein Mann, ebenfalls mit einem roten Hemd bekleidet, sich ihr nähert. Von ihm wird sie die nächsten Schritte erfahren.
    Vier Wochen später findet das Treffen statt. Der Fremde ist

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