Im Land der Regenbogenschlange
Vietnam. Sie spart wieder, am Essen, am Trinken, am Leben. Trifft wieder im Mekongdelta auf Fischer, aber diesmal auf Gangster, der Mittelsmann verschwindet mit den angezahlten Ringen. So schlägt sie sich, das Kind auf dem Buckel, bis zur laotischen Grenze durch (um nach Thailand zu gelangen), die angeblich grün sein soll, in Wirklichkeit aber 24 Stunden pro Tag vom Militär kontrolliert wird. Nach Tagen und Nächten im Dschungel kehrt sie um, dünn und am äuÃersten Saum ihrer Leidensfähigkeit. Sie weià jetzt, dass sie verloren hat. Und sie weiÃ, dass sie die nötigen Bestechungsmittel nicht mehr auftreiben wird. Denn inzwischen hat die Planwirtschaft die Wirtschaft planmäÃig in den Abgrund gefahren.
Thảo, die Katze mit dem Herz einer Löwin. Sie muss, sie will leben. Wieder von unten, ganz unten anfangen. Sie geht aufs Land, kauft bei Bauern ein, verkauft in der Stadt. Aber die Miete für den Kiosk steigt rasant, sie wird vertrieben, sie arbeitet für andere, lässt sich schröpfen, zimmert irgendwann neben dem Tor einer Papierfabrik eine Nudelsuppen-Küche. Und der Laden boomt, die Arbeiter kommen und essen. Bis das Unternehmen pleite macht und die Direktion und Thảo den Betrieb wieder einstellen.
Das Glück kehrt zurück, sie trifft einen Wohlhabenden, der nicht ausbeutet, und ihr zu einem fairen Betrag eine kleine Bar verpachtet. Ausländer kommen, Amerikaner. Auf der Insel lernte sie lesen und schreiben, jetzt lernt sie Englisch, spielt nebenbei den Tourguide, fährt die Daddys zu den einschlägigen Adressen mit den verfügbaren Ladys. Nie verliebt sie sich in einen, nie geht sie mit einem ins Bett. Ein Deutscher will sie für eine Nacht einkaufen und lockt mit einem Bündel. Thảo kann nicht, redet sich davon, redet von ihrer vielen Arbeit. Wie wahr, denn inzwischen â neben der Bar, neben dem Taxiservice, neben dem Sohn, neben dem Vokabellernen und neben den vielen Gedanken zur Geldbeschaffung (»Sometimes, I thought I go crazy«) â neben all dem hat sie sich einen neuen Wahnsinn ausgedacht: Sie geht durch die StraÃen von Saigon und sammelt ausgesetzte Kinder ein. Und nimmt sie mit nach Hause. Und behält sie. Damit sie was zu essen bekommen und ein Dach über dem Kopf. Sie weià von keinem ihrer sieben Waisen das Geburtsdatum, nie kamen Eltern, um ihre Töchter und Söhne zurückzufordern. Und nie geht Thảo betteln, immer steht sie auf und sagt, sagt sich: »I've got to do something.« So vergingen ihre letzten zwanzig Jahre, Giang, ihr eigener Sohn, ist inzwischen 32, ihr ältestes Ziehkind 24.
Vor 13 Monaten kam sie in Sydney an. Mit Hilfe von Freunden und einer NGO . Die Details ihres Abgangs vertraut sie mir unter der Bedingung an, sie mit Diskretion zu behandeln. Damit andere nicht gefährdet werden, die Helfer nicht und jene nicht, die noch davonwollen. Ihr vietnamesisches Leben ist vorbei, die acht Kinder sind erwachsen, jedes mit einer bescheidenen Schulausbildung und einem Job. Ihre Heimat boomt, der Beton um die Köpfe der Parteibonzen bröckelt, es gibt sogar mehr Freiheit und (ein wenig) mehr Gedankenfreiheit. Zu Trung, ihrem Mann, dem Ex-Revolverhelden und heutigen Bauarbeiter in Perth, hat sie keinen Kontakt. Irgendwann schickte er 200 Australian Dollar (etwa 120 Euro), als Nachzahlung für drei Jahrzehnte Alimente.
Bis zuletzt spricht Thảo leise, dreht manchmal den Kopf vorsichtig zur Seite. Alte Reflexe, sagt sie lachend, als ich sie darauf hinweise. Wir befinden uns mitten in einem demokratischen Land und sie verfolgt noch immer der Verdacht, dass sie bespitzelt wird. Natürlich hat Thảo Pläne, schon spart sie wieder, träumt von einem eigenen Restaurant. Um weiter zu sparen und den Rest der GroÃfamilie zu holen. So ist sie, sie kann nicht anders.
Wir gehen runter zum Lotus-Weiher. Wenn sie Zeit hat, sagt sie, kommt sie hierher, alle paar Wochen. Das stille Wasser als Kraftquelle. Wir hocken im Gras und umarmen uns, wie Kinder zum Abschied. Eine Wildfremde erzählt einem Wildfremden eine Geschichte, und hinterher ist vieles anders. Als ich im Bus zurück nach Wollongong sitze, frage ich einen Vietnamesen ein paar Reihen vor mir, was Thảo bedeutet. Da er meine Aussprache nicht versteht, zeige ich ihm den Namen, so wie sie ihn mir aufgeschrieben hat. Und der alte Mann überlegt, sagt dann langsam: »generosity«. Mehrmals
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