Im Land der Regenbogenschlange
Ausnahme, hier unterscheiden sich die beiden Völker, die Aussies von den Amis. Australien ist friedlich, die Waffengesetze gelten als rigoros, die Lust aufs Knallen und Abknallen scheint hier eher zurückhaltend.
Nachts höre ich über mein Radio auf ABC ein Interview mit »Carmen«, das ist der Künstlername eines (schwulen) Neuseeländers, der Anfang der 60er Jahre nach Sydney kam, um dem Militärdienst zu entgehen. Seine Story ist herzerfrischend, denn sie zeigt, dass es noch andere Lebensentwürfe gibt als die Sehnsucht nach MaÃregelung und Unterordnung. Carmen stand »on the wall« in Kings Cross, als hurender (halber) Transsexueller, der oft Kunden mit dem Hinweis auf ihre »period« hereinlegte. Um jeder Penetration zu entgehen, denn »unten« war sie noch nicht operiert. Nachdem sie genug gespart hatte, flog sie zurück nach Wellington, der Hauptstadt, eröffnete einen Nachtklub und stellte sich als Kandidat für die nächste Bürgermeisterwahl auf. Sinniger Slogan der Kampagne: »Go on behind«, geh's von hinten an. Carmen kam auf Platz drei. Nach der Niederlage lehnte sie sich wieder als Nutte an die Häusermauern, wieder in Sydney. Ja, meint sie, die Zeiten haben sich geändert, heute gebe es definitiv mehr Toleranz. Früher wurden die »Perversen« mit Blaulicht und Schlagstock verfolgt, jetzt werden sie übersehen. Was auffällt bei Carmen: Der Zwitter erzählt ohne Bitterkeit, voller Verve heckt die 60-Jährige neue Pläne aus, sagt lebensweise: »Then was then and now is now.«
Nach 22 Uhr in Tamworth, die kleine Stadt ist berühmt, im Januar findet hier immer das weltgröÃte Country Music Festival statt. Behaupten die Veranstalter. Mit Tausenden, so heiÃt es, tagelang ohnmächtigen Alkoholikern. Tröstlich, dass das fragliche Datum weit weg liegt, denn Countrymusik erinnert immer an die Anmut hellbrauner Breitcord-Hosen, an Barden mit Bärten und der Klampfe über dem Holzfällerhemd, Bauernblues jodelnd. Zum Fürchten. Jetzt ist es leer hier und alkoholleichenfrei, ein warmes Bett ist bald gefunden.
Am nächsten Morgen durch das umtriebige Städtchen, ein Transportmittel suchen, um nach Bingara zu kommen. Kein Greyhound-Bus fährt dorthin. Im Zentrum herrscht eine auÃer Rand und Band geratene Architektur, kleines Haus, groÃes Haus, brandneue dorische Säulen, daneben Bruchbuden mit Blechverschalung, Art Deco, Sichtbeton, einmal schick, einmal medioker, einmal das Grauen, einziges Prinzip: eine StraÃe muss dazwischen Platz finden. Irgendwie hat das Charme. Wer länger hinschaut, dem fällt auf, dass die Einwohner, die an den Häusern vorbeigehen, auf witzige Weise hierher passen. Kleine Menschen, groÃe Menschen, dicke, dünne, ganz dicke, ganz dünne, feine und abgerissene, hinkende, fröhliche, hässliche, manche bildschön.
Am späten Nachmittag mit einem Provinzbus weiter Richtung Norden. Leise Musik swingt, die Sonne geht langsam unter, letzte Strahlen fallen durch dunkle Wolken, die Bäume werfen warme Schatten, ein Licht jetzt wie in Afrika. Man schaut hin und begreift wieder einmal, dass der Mensch ein schönheitsdurstiges Tier ist. Ist dieser Durst gelöscht, scheint so vieles erträglicher. Zwei Stunden später Ankunft in Bingara, die 1400 Bewohner sind längst von den StraÃen verschwunden. Ich wandere ins Imperial Hotel , das Wirtshaus mit Fremdenbetten.
Was beim Lesen von Büchern über Australien auffällt: Sobald der Reiseschriftsteller ankommt, geht er schnurstracks in ein Pub, stellt sich an der Bar neben einem Australier auf, sagt »How's going, mate?« und lädt ihn zu einem Guinness ein. Und der mate , der Kumpel, kann sein Glück nicht fassen und fängt wie auf Kommando die tollsten Geschichten zu erzählen an. Ich mache es heute auch so, will das auch können, lege den Rucksack aufs Bett und stehe drei Minuten später am Tresen.
Bombenstimmung, mit dem Bier in der Linken spielen sie Darts, verschlingen Wurst-Sandwiches und lassen Alfie hochleben, der nach 41 Jahren »treuer Dienste« bei der Stadt in Rente geht. Als sie mich (das fremde Gesicht) sehen, kommt ein mate auf mich zu und fragt, ob ich gern ein Bier hätte und ob es stimmt, dass ich mein Geld in Liechtenstein verstecke. Wie alle Europäer. Vor Kurzem habe er davon gelesen. Und ob die Deutschen jeden Tag drei Liter Milch trinken, auch das
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