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Im Land der Regenbogenschlange

Im Land der Regenbogenschlange

Titel: Im Land der Regenbogenschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Altmann Andreas
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unverständlich, wohl so unverständlich wie mein Vietnamesisch. Sagt es, bis ich das Wort begriffen habe: Großzügigkeit.
    Ist das nicht ein fulminantes Beispiel dafür, wie Immigration bereichern kann? Wie ein Mensch wie Thảo einen Erdteil, im konkreten Fall Australien, durch ihre Anwesenheit reicher macht, menschlicher. Wie beide geben – das Fluchtland und der Flüchtling – und beide dabei gewinnen.
    Abends im Pub-Hotel sitzen, voller Seligkeit die Story notieren. Heute bin ich verliebt in Australien, heute verteilte es nur Geschenke. Sogar der Abend wird gut, ein paar Tische weiter spielen Männer Billard. Und keiner grölt, keinen animiert das viele Bier zum Lärmen. Billard ist eben ein eleganter Sport, da passen nur leise, elegante Töne.

Richtung Nordwesten. Ich habe mir bei Greyhound einen Aussie-Pass für 20 000 Kilometer gekauft, sechs Monate gültig. Das Busunternehmen verfügt über das größte Streckennetz im Land, wurde vor über hundert Jahren gegründet, ähnelt stark seinem amerikanischen Vorbild und verpflichtet jeden Reisenden zu leicht bizarren Terms & Conditions. Erfreulich jedoch, dass jeder Passagier die dress standards respektieren muss, er wird ausdrücklich aufgefordert, ein Hemd, eine Hose (bzw. einen Rock) und ein Paar Schuhe zu tragen. Er sollte auch »genügend gewaschen« sein. Jeder, der einen »anstößigen Geruch« verbreitet, wird vor dem Betreten des Fahrzeugs aufgefordert zu »baden« (wo man schnell baden kann, steht nicht da). Behinderten wird von den Fahrern »ein wenig« ( minor assistance ) geholfen, solange sie nicht das »Hauptgewicht« des Kranken heben müssen. Wer raucht, trinkt oder kifft, fliegt raus. Geht Gepäck verloren oder kaputt, so hat der Eigentümer Schuld. Auch dann, wenn das Unternehmen dafür verantwortlich ist. Auch dann noch, wenn auf »rücksichtslose, nachlässige und vorsätzliche Weise verantwortlich«. So kann man es schwarz auf weiß und ungetröstet zur Kenntnis nehmen. (Man liest es zweimal, bevor man es glaubt.) Raue Zustände, wohl noch die Reste einer vergangen geglaubten Wild-West-Mentalität. Bald werde ich wissen, dass die Statuten auf die coach captains , die Fahrer, abgestimmt wurden. Denn viele von ihnen sind einer Herde Büffel entsprungen, Outback-Rednecks, ausgesucht unfreundlich. Very unaustralian.
    Nach Mittag Start, pünktlich, insgesamt fünf Passagiere. Während draußen eine hübsche, grün leuchtende Landschaft vorbeizieht, wird über Lautsprecher ein Ritual zelebriert, das an mustergültige Infantilisierung grenzt. Über eine Viertelstunde lang wird der Bus-Käpt'n – »my name is Tim« – die Anstandsregeln herunterleiern. Hielt ich bisher Deutschland für einen Hochsicherheitstrakt, wo jemand mit dem Lesen bürokratischer Zurechtweisungen sein Leben hinter sich bringen kann, so fällt es ab heute weit hinter Australien zurück. Wir werden sogar aufgefordert – nachdem wir erfahren haben, dass wir auf der Bordtoilette nur Pipi machen dürfen –, die Klotür hinter uns zu schließen. Es hagelt Gebote und Verbote (»nicht aufstehen, wenn Fahrzeug in Bewegung« – »jeder muss auf seinem reservierten Platz sitzen« – »nicht die Beine auf den Gang ausstrecken«), bis man k. o. und dankbar Tims Schweigen registriert. Stille, minutenlang, dann kommt sein schönster Satz: »Sorry, no TV today, the telly's broken«, die Glotze ist kaputt. Tim sei alles vergeben.
    Lesen, schauen, das Schaukeln durch die Welt genießen. An einem Fast-Food-Stop komme ich mit zwei rüstigen Damen ins Gespräch, sie sitzen weit vorne im Bus. Mit Seidenkissen haben sie ihre Plätze ausgelegt, sie wollen es gemütlich. Lucy, eine der beiden Kettenraucherinnen, gesteht, dass sie wieder auf Diät ist, »die 120 sind zuviel.« 120 Kilo. Jetzt versteht man, warum die Fahrer sich weigern, die Hauptlast ihrer Passagiere zu tragen. Aus heiterem Himmel – oder habe ich eine Visage, die zu solchen Meldungen inspiriert? – erzählt die Enorme von Martin Bryant, dem erfolgreichsten Amokläufer des Landes, der im April 1996 drei Dutzend Frauen, Männer und Kinder mit einer » AR 15 semiautomatic rifle« (Lucy kennt sich aus) niedermähte. Und noch mal so viele zum Teil schwer Verwundete am Tatort zurückließ. Nun, das ist die

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