Im Land der Regenbogenschlange
der Uluru â so heiÃt das Gestein, seit es die Regierung 1985 offiziell dem Anangu-Volk zurückgab â bestiegen wird. Denn er sei sacred . Und hier, direkt vor uns, wird nochmals auf groÃer Tafel verkündigt: »Don't risk your life! Listen! If you get hurt, or die, your mother, your father and family will really cry and will be really sad too. So think about that and stay on the ground.«
Der Warnruf räumt alle Zweifel aus. Denn ich weià plötzlich wieder, dass ich weder Vater, noch Mutter, noch Familie habe, folglich niemanden, der um mich weinen wird. Das ist natürlich scheinheilig, aber nicht weniger scheinheilig als der Aufruf der traditional owners . Warum nicht einfach die Strecke nach oben sperren? Ohne Wenn und Aber. Die Antwort ist simpel und eine morgige Recherche wird meinen plötzlichen Verdacht bestätigen: Viele Besucher kommen nur, weil sie hinauf wollen. Und dürfen sie nicht mehr hinauf, kommen sie nicht mehr. Da schon das Betreten der Umgebung Geld kostet, würden enorme Einnahmen wegfallen. Die Moral, so einfach: Entweder man steht zu seinem Gewinnstreben und gibt den Weg frei. Oder man ist konsequent und sperrt zu.
Krönung der Heuchelei sind die Ratschläge â direkt daneben geschrieben â, um sicher den Zenit zu erreichen. Zudem wurden weiÃe Streifen aufgemalt, um den Weg nicht zu verfehlen, ja, eine Kette spannt sich entlang des ersten, schwierigsten Drittels, eine Art Geländer. Um nicht vom Wind verweht zu werden.
Noch ein Argument, das zum öffentlichen Ungehorsam aufrufen soll, jetzt ein ganz fundamentalistisches: Ich weià nichts von heilig. (Naja, ein paar Shakespeare-Sonette dürfte man heiligsprechen.) Warum soll ein Stein heiliger sein als ein anderer? Der Bach, in dessen Nähe ich meine Kindheit verbrachte, ist auch heilig. Mir heilig. Die ganze Welt, wenn man so will, ist heilig. Oder â um diesen ölig-esoterischen Ton zu vermeiden â kostbar. Wertvoll allemal. Und zuallerletzt, entscheidend: Ich habe diese Abmahnungen satt, diese Infantilisierungs-Orgien. Ich werde krank davon, ich will nicht mehr hinhören, ich will los.
Schlecht vorbereitet, mit StraÃenschuhen (je ein Loch) und dem kleinen Rucksack auf dem Rücken, voll mit dem Mac, Kabel, Büchern, Radio. Aber jetzt habe ich die richtige Wut im Leib, um meinen Schweinehund zu besiegen. Denn ich leide unter Höhenangst, hämmere mir ein, auf keinen Fall zurückzuschauen. Und ich schwöre, um jedem Vorwurf auszuweichen, keinen Kieselstein einzustecken, kein Stück Papier zu verlieren, keine einzige Spur zu hinterlassen.
Ich komme zügig vom Fleck, die raue Oberfläche macht es einfacher, bisweilen hilft tatsächlich die Kette, denn seltsam lau ist die Luft und seltsam plötzlich jagt der Wind. Unverzichtbar wird der Halt bei einem gemeinen 100-Meter-Abschnitt, der extrem schmal ist. Wer hier ausrutscht, landet erst tief unten wieder. Wann immer eine Hand frei ist, kämpft sie an der Nebenfront, der Fliegenpest. Ich überhole zwei tapfere Kinder und ihren tapferen Vater, bin froh, dass andere ebenfalls aufbegehren und auf ihr Recht pochen, sich am Leben zu fühlen.
Ich muss mir die Kraft einteilen, etwa 2½ Stunden sind für den Aufstieg vorgesehen. Hat man den Teil entlang der Absperrung geschafft, geht es raufrunter und hinter jeder Felsendüne glaubt man sich am Ziel. Leute kommen entgegen, auffällig ihre frohen Gesichter. Nach einer Stunde und 43 Minuten sind wir beide oben, mein Bleifass auf dem Rücken und ich. 348 Meter tiefer liegt Australien. Für jemanden, der mit Schrecken von der Spitze einer Staffelei zurück auf die Welt blickt, bin ich gerade ein Held. Ein glücklicher Held, denn über eine Minute lang bin ich allein, allein neben dem tonnenartigen Behälter, den die Australian National Survey Society aufgestellt hat. Sonst nichts, nur Luft, Wind und ein Himmel, unter dem die Wolken wie Luftschiffe treiben.
Und ein leises Lachen. Ich drehe mich und sehe hinter der nächsten Düne einen Frauenarm hervorlugen. Und natürlich bin ich taktlos und gehe auf ihn zu. Sekunden später weià ich, dass ich es nicht hätte tun sollen. Denn ich sehe ein Liebespaar, er den Kopf in ihrem SchoÃ, sie ein Buch in der Hand, aus dem sie halblaut vorliest. Ich hasse meine Neugier und frage nach dem Titel, die beiden reagieren sanft: »Poroka z budo«, das ist, so höre ich,
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