Im Land der Regenbogenschlange
fühlen. Um 23 Uhr 11 bin ich kühn genug und steige vollbekleidet, die Ohrstöpsel in Stellung und mit einem Schal um die Nasenlöcher in mein Hochbett. Zwei andere liegen bereits in ihren Kojen, entspannt sägen sie durch die Nacht. Von fern das Jaulen der Hunde. Mein Leben als Erfolgsstory, unübersehbar, unüberhörbar.
Am nächsten Morgen ist alles vergessen, die Sonne begrüÃt jeden Frühaufsteher, ich finde ein brauchbares Café. Hinterher ins Museum of the Goldfields , dort erfährt man, dass Kalgoorlie nach einer Krise wieder »aus allen Nähten platzt«, so zulegen würden sie hier. Eine kleine Szene illustriert das vortrefflich: Wir betreten den Lift, wollen hinauf in den ausrangierten Förderturm. Die Plakette im Aufzug besagt, dass neun Personen zugelassen sind, sagen wir, neun »normale« Personen. So muss Tim, der Guide, drei fatties bitten (sicher hat er Ãbung darin), wieder nach drauÃen zu treten. Sonst bestehe die Gefahr, dass wir in den Keller krachen. Auch das stärkt die Freude am Reisen. Man erlebt Situationen, die es woanders nicht gibt. Man wird reicher, unbestreitbar. Ach ja, hier in »Kal« haben sie ein eigenes gold squad , eine Polizeiabteilung, die sich ausschlieÃlich mit dem Diebstahl von Gold beschäftigt.
Nach dem Ritual des Bücherumarmens in einer lobenswerten Buchhandlung setze ich mich auf die Terrasse eines Bistros am Santa Barbara's Square, nicht ohne vorher die groà angeschlagene Gebrauchsanweisung zum Leben an diesem Platz gelesen zu haben. Aber lesen und das Geräusch des Springbrunnens genieÃen ist erlaubt. Nicht lange, ich bin wohl nicht sonderlich begabt fürs GenieÃen, irgendetwas in meiner Umgebung brennt nach Minuten an, fast immer. Sinnigerweise heiÃt das Café Kaoss .
Eine Aborigine setzt sich zu mir. Sie kann kaum reden, die rechte Backe ist geschwollen, die Fäuste ihres Mannes landeten gestern dort. Ich gebe ihr ein paar Dollar. Sie fragt nach Zigaretten. Ich zeige ihr die Zigarillos, die sie nicht will. Sie ist vielleicht vierzig und leicht betrunken. Wir reden, Small Talk. Bis ein Mann auf uns zukommt. Ihr Mann, schwer betrunken. Er streckt die Hand aus und verlangt das Geld. Ich sage ihm, dass ich ihr die Scheine gegeben habe und er solle das bitte respektieren. Die Frau hält durch, rückt nichts heraus. Ihr Zuchtmeister zieht ab. Bis sie ihm nachzieht, keine Minute später. Und abliefert. Als Aborigine möchte ich nicht auf die (moderne) Welt gekommen sein. Und als Aborigine-Frau erst recht nicht.
In der Zeitung steht ein schöner Gedanke. Ein Wissenschaftler wird gefragt, ob er ebenso hartnäckig nach Erkenntnis suchen würde, wenn er wüsste, es gäbe niemand anderen auf der Welt. Nein, denn dann könnte er keinem davon berichten. Das gilt für Schreiber nicht anders. Wäre ich nicht sicher, dass der Leser mit gleicher Freude und Anteilnahme Geschichten hört wie ich, ich würde sie nicht aufschreiben.
Wie jene, die nun kommen. Um 13 Uhr 15 bin ich zurück in der Hay Street, wo das Luxus-Bordell steht und gegenüber der Saustall, der sich unter dem Pseudonym Golddust als Hotel ausgibt. Ich bin zurückgekommen, weil sich zwei weitere Eros-Center hier befinden und eines, das Questa Casa , um 14 Uhr eine Führung anbietet. Dort will ich geführt werden.
Fünf solide Ehepaare, gestandene Mittelklasse, und ich werden von Madam Carmel eingelassen, ins ebenerdig gelegene, schon vor über hundert Jahren wellblechgezimmerte »maison honnête«, ins ehrliche Haus, wie die Franzosen derlei Vergnügungsstätten trefflich bezeichnen. Goldgräber und Dirnen, das eine ist ohne das andere nicht denkbar. Wir zahlen jeder zwanzig Dollar und werden dafür vielfach entlohnt. Zuerst zeigt uns die Chefin die verschiedenen Räume, das typische Mobiliar eines Etablissements, viel Rosa und Rot, viel Spiegel und Bett, viel saugfestes Küchenpapier, Geltuben und Döschen voll farbenfroher Gummis. Déjà vu, ein alter Hut. Die Sensation sind die Erzählungen Carmels, die uns in eines der Zimmer zum Platznehmen bittet und loslegt.
Madam C. macht einen ausgesprochen gepflegten Eindruck, von geistiger Pflege zeugt ihr reicher Wortschatz. Vor vierzehn Jahren fing alles an, ihr Mann starb und sie fiel in eine zählebige Depression. So begann sie, wörtlich, »nach einem neuen Sinn im Leben zu suchen«. Sie stöÃt auf eine
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