Im Land der Regenbogenschlange

Siebzig erlöste Männer. Das so Verwirrende ist die Tatsache, dass die Ex-Hausfrau nicht sonderlich attraktiv ist, sogar Zimmertüren weiter viel Attraktivere zur Verfügung stehen. Warum also? Carmel vermutet, dass die 43-Jährige etwas ausstrahlt, das diesen einfachen Arbeitern, die keine social skills besitzen, um zu Eros und Sinnenlust zu verführen, dieses unbezahlbare Gefühl von Verstandensein und Hingabe vermittelt.
    Na klar, auch hier tricksen sie. Wie Jasmine, die bald 60-Jährige, die sich ihren Freiern als »Frau von Mitte dreißig« vorstellt. Da neben jedem Bett ein Dimmer installiert ist, um das Licht im Notfall bis auf Outback-Finsternis herunterzufahren, hat sich noch keine ihrer Herrenbekanntschaften beschwert. Zudem wanken die meisten betrunken herein. Carmel erzählt auch von den jungen Dingern, die nicht kapieren, dass – statistisch gesehen – die Laufzeit eines Hurenlebens eher flüchtig ist, erzählt von den weisen Nutten, die klug anlegten und heute – weit weg in einem anderen Eck Australiens – als Hausbesitzerin (oder Häuserbesitzerin) ihren verdienten Lebensabend verbringen. Von keinem belästigt, von keinem an die Vergangenheit erinnert.
    Irgendwann ist die Zeit vorbei, aber wir bekommen aus aktuellem Anlass noch eine letzte Begebenheit erzählt, die jüngste, die extravaganteste, die gefährlichste. Vor drei Wochen läutete eine Frau, sie ist an diesem Tag der einzige Gast, der um eine Führung bittet. Wie uns zeigt Carmel ihr die Räumlichkeiten, demonstriert, erläutert. Die Besucherin bedankt sich nach den zwei Stunden, steigt in ihren Wagen auf der gegenüberliegenden Straßenseite, startet und fährt hochtourig und kerzengerade in das Blechpuff hinein. Einen halben Meter scharf an Carmel vorbei. Jetzt verstehen wir elf plötzlich, warum die Vorderseite notdürftig mit Spanplatten kaschiert ist, warum es im Gang und in der Küche aussieht, als hätte eine Granate eingeschlagen. Das Werk der Fremden. Die Polizei rätselt, die Kamikaze-Frau gab einen verklemmten (!) Fuß am Gaspedal zu Protokoll. Das muss sie sagen, meint der Questa-Casa-Anwalt, damit die Versicherung zahlt. Carmel – viele Jahre geschult in Eifersucht, Maskerade und Heuchelei – ahnt etwas anderes, auch zeigen Indizien in diese Richtung: Die businesswoman aus Perth hat wohl erfahren, dass ihr Freund bisweilen hierher kam. Um sich kurzweilig von der Freundschaft zu erholen. Somit war die Autobombe ein Akt der Rache.
    Wie auch immer, heiteren Gemüts gehen wir auseinander. Zum Abschied bekommt jeder von uns eine Visitenkarte. Für den Fall, dass. Man sieht einen Schraubenschlüssel – des Bergarbeiters wichtigstes Werkzeug –, überzogen mit einem Kondom, Text: »Protect your tool.« Clevere Werbung ist ein Zeichen von Intelligenz.
    Am späten Nachmittag sieht Kalgoorlie am besten aus. Lange Schatten ziehen über die Hannan Street, die Hauptstraße mit den breiten Vordächern über dem Trottoir. Die hübschen Fassaden erinnern an die gute alte Zeit, in der viel gemeuchelt und gemordet wurde und die Stadt, einst aus dem Wüstensand gestampft, zu einem der größten Goldexporteure weltweit aufstieg.
    Abends wird es dann trostlos, wie immer in der Provinz. Kein Nachtleben, kein Glitzer, kein Betrieb, nur die zum Bersten gefüllten Pubs, wo sie pro Minute tausend Liter Bier durchlaufen lassen. Ich wage mich in Paddy's Ale Pub , wo vierzehn TV -Monitore plus ein Riesenbildschirm hängen, fünfzehn verschiedene Sportsendungen flackern. Aufregender allerdings die Skimpies (die Knappen), jene Mädels an der Bar, die in Slip und Büstenhalter oder in Slip und ohne Büstenhalter den Kerlen nachschenken. Beneidenswert, wie australische Männer der Reizüberflutung standhalten. Aus allen Himmelsrichtungen werden sie bombardiert und keiner verliert die Contenance. Rechts der Tür steht ein Alcohol Breath Tester , für einen Dollar kann man in einen Strohhalm blasen und im Nu erfahren, wie voll der Tank ist.
    Wie ein Hund trotte ich durch die leeren Straßen. Will den Augenblick hinauszögern, in dem ich zurück auf die verlauste Matratze muss. Warum trete ich jetzt nicht in einem Hollywood-Film auf, wo mir ein Skimpy vom nächsten Balkon zuwinkt, eindeutiger Aufruf, neben ihrer warmen Kalifornienhaut die Nacht zu verbringen. Aber immerhin, ich bekomme eine Gnadenfrist. Ein