Im Land der tausend Sonnen
Tibbaling hatte sich in einen Zustand tiefster Zufriedenheit versetzt, als er an den Rat dachte, den Warrichatta ihm schließlich brachte, und daher ärgerte er ihn nicht mehr so sehr wie vor langer Zeit.
»Sie trauern«, erfuhr er. »Sie haben die Erinnerung unserer Stämme über tausend Generationen hinweg durchforscht, doch dieses Problem war noch nie da. Andere sind an unseren Ufern gelandet und wurden entweder abgewehrt oder haben sich mit unserem Volk vermischt. Das haben mehrere unserer nördlichen Stämme bezeugt.
Sie ringen die Hände vor Beschämung, weil sie keine Lösung anzubieten haben. Es sind Geister«, Warrichatta weinte, »die Flutwellen abwehren können. Die Blitze vom Himmel schleudern. Sie können das Land vertrocknen lassen. Doch sie haben der Masse und dem Zorn der weißen Männer nichts entgegenzusetzen.«
»Warum nicht?« Tibbaling weinte auch.
»Weil sie von unserer Mutter Erde sind. Sie können nur irdische Mächte beschwören. Unsere Feinde sind zu zahlreich, und unsere Geister müssen anerkennen, dass auch sie ihre Geister haben. Die Geister fordern das Recht, ungehindert auf unserer Erde wandeln zu dürfen.«
Tibbaling erschrak. Er hatte nicht gewusst, dass auch die Eindringlinge Geister hatten.
»Dann ist alles verloren?«, fragte er Warrichatta, und den grauen Augen des Hais gelang ein Aufblitzen.
»Das glauben sie nicht. Sie glauben, dass eine neue Traumära bevorsteht. Um einen Weg durch diesen bösen Nebel zu finden, ist mehr Besinnung notwendig.«
»Das ist schon eine große Hilfe.«
»Ein wenig Hilfe wird dir jedoch geboten. Einige weise Männer wie du selbst …«
»Bitte sag das nicht, Warrichatta. Ich bin kein weiser Mann. Ich habe alles getan, was die Geister von mir verlangten. Ich habe gefastet, ich habe auf mein weises Ich gehört, ich habe die neun Teufel des Nordens ertragen, in ihren Höhlen und auf ihren Bergen gekämpft, all das hab ich getan. Aber die Weisheit blieb mir versagt.«
»Man sagt, weise ist der, der weiß, dass er noch viel lernen muss.«
»Richtig, und mir bleiben nur noch wenige Jahre, mein Freund. Ich kann meinem Volk nicht helfen. Die Zeit hat mich besiegt.«
»Nein. Unsere Geister haben die Zeit besiegt, Tibbaling. Du und viele andere weise Männer bekommen eine weitere Lebensspanne, um zu lernen.«
»Was ist das?«
»Die großen Geister verstehen, dass dem einfachen Menschen, wenn sie selbst keine Lösungen finden, mit nur einem Leben keine Hoffnung bleibt. Deshalb gewähren sie dir noch eines.«
»Noch eines?«
»Ja.« Warrichatta, sein glattes Grau, verschwand im silbrigen Meer. »Noch ein Leben«, flüsterte er. »Um mehr zu lernen, Tibbaling. Dir wird noch ein Leben gewährt.«
»So«, Tibbaling keuchte jetzt. »So.« Das Keuchen hörte auf, als er wieder einschlummerte und der Dingo näher kam, der Dingo-Geist, nicht nur sein Totem, sondern sein Freund. Immer treu. Dieser Dingo wurde selten gesichtet, war jedoch immer in der Nähe. Gemeinsam suchten sie das Land ab, von den fernen Hügeln über die ausgetrockneten Bäche und Wasserlöcher, vorbei an den mächtigen Bäumen, die sie schon in der Tramzeit gekannt hatten, und immer weiter …
Mit einem Aufschrei erwachte Tibbaling aus seiner Trance. Er war über und über mit Ameisen bedeckt, mit riesigen Ameisen, die ihn bissen. Verzweifelt schlug er nach ihnen, doch als er aufstehen wollte, gelang es ihm nicht. Sein rechtes Bein schmerzte höllisch und wollte ihn nicht tragen.
Der Dingo, von dieser Störung überrumpelt, sprang zurück, doch dann weiteten sich seine Augen, und er senkte den Kopf, beobachtete die Ameisen und hörte ihnen zu … Nach einer Weile drehte er sich lautlos um und trabte zurück in den Busch.
Lukas musste sich eingestehen, dass er wohl im Kreis gelaufen war. Er befand sich immer noch auf verbranntem Land. Das hätte längst hinter ihm liegen oder er hätte auf den Fluss stoßen müssen. Allerdings sank er von Zeit zu Zeit auf Grund unerträglicher Schmerzen immer wieder in dunkle schattenhafte Träume, aus denen er irgendwann, schweißgebadet vor Angst, zurück ins Bewusstsein gerissen wurde. Danach musste er sich jedes Mal
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