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Im Land der tausend Sonnen

Titel: Im Land der tausend Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Shaw
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hier gewesen –, also betrachtete er den Mann namens Lukas mit den Augen dieser Leute. Dann nickte er. Ah, ja. Jetzt konnte er ihn sehen, einen großen, dunkelhaarigen Mann. Geistesabwesend wischte er die Ameisen von seinen Beinen.
            Tibbaling schien zu schlafen, wie er da mit gekreuzten Beinen neben der Hütte saß und seine alten Knochen in der Nachmittagssonne wärmte. Vielleicht schlief er tatsächlich. Doch ein Teil seiner selbst dachte sich in jene Leere hinein, in jenen Ort des Nichts, wo selbst das Denken unbekannt war. Er befingerte den Haifischzahn, den er um den Hals trug, das Zeichen seiner hohen Würde als Mann des Geistes, und er suchte Warrichatta auf, den großen, furchtlosen Hai, der vom Himmel in die Traumzeit gekommen war, um alle Fische im Meer vor Gongora zu schützen.
            Mit Warrichattas Augen durchsuchte er die Tiefen der Flüsse, von den Quellen bis zu den Mündungen im weißen Sand der Bucht, für den Fall, dass der vermisste Mann ins tiefe Wasser gestürzt war. Als er Lukas dort nicht fand, suchte er trotz seiner Angst Gongora auf, denn wenn die Weißen mit ihrer Klugheit einen der ihren nicht fanden, lag es für Tibbaling auf der Hand, dass er im Fluss ertrunken sein musste. Oder schlimmer.
            Die Welt durch Gongoras Augen zu betrachten war schrecklich. Alles war hässlich gelb verschleiert und roch nach faulen Eiern, und man bewegte sich brutal, schnell und wütend und schlug beim Tauchen mit einem monströsen Schwanz. Nicht wie Warrichatta, der elegant und glatt war, den man gern begleitete. Doch Tibbaling ertrug den Krokodilblick auf den Fluss und die Schlammflächen so lange, wie es nötig war, um sicher zu sein, dass der Mann, Lukas, nicht ertrunken, nicht von einem Hai oder Krokodil gefressen worden war. Nach diesem Erlebnis schwitzte er stark, und die Ameisen, die ihn belästigten, fingen jetzt an zu beißen.
            Ungeduldig streifte er sie ab, zog sich in den Busch zurück und suchte sich einen besseren Platz in einem moosigen Hain bei einer Bambusstaude. Doch dann störte ihn das Knarren des Bambus, und die Vögel mit ihrem Kreischen und Schnattern machten ihm die Arbeit unmöglich.
            Er stand auf, brach ein Bambusrohr ab und schleuderte es hoch wie einen Speer. Es erhob sich über die Bäume und verharrte dort, in der Luft …
            »Was ist das, Walther?«, fragte Pastor Beitz.
            »Was denn?«
            »Alles ist plötzlich still. Kein Ton mehr zu hören.«
            »Wahrscheinlich ein Falke. Mir ist aufgefallen, dass Falken die Vögel verscheuchen.«
            »Aber ich höre nicht einmal den Bach.«
            Walther bemerkte es nicht. Er war zu sehr damit beschäftigt, Hanni zu beruhigen. Walther glaubte, dass Lukas vielleicht jemanden in der Stadt besuchte. Irgendwo, wo er ihn nicht finden konnte. Und vielleicht hatte Lukas nicht gewusst, dass Hanni schon so bald in die Stadt kommen würde. Da Beitz sich für das Gespräch interessierte, war ihm die plötzliche Stille auf einmal egal, während Tibbaling besänftigt seinen Platz wieder einnahm. Das Rohr fiel sacht zu Boden, und die Vögel waren nach dieser Ermahnung etwas ruhiger. Er ließ sein Bewusstsein wieder in diese Leere schweifen, doch nach der beunruhigenden Reise mit Gongora umklammerte er mit einer Hand fest eine Baumwurzel, um einen Halt zu haben, denn Gongora war fähig, böse Geister heraufzubeschwören, die schreckliches Unheil anrichten konnten. Schon zu vielerlei Gelegenheiten hatte Gongora Tibbaling diese Geister angeboten, um ein Band der Freundschaft zu schmieden, doch Tibbaling war klug genug, sich niemals mit Gongora gemein zu machen, dem man nicht trauen durfte. Manchmal erwog er, sich an den weißen Eindringlingen zu rächen, indem er sie Gongoras Grausamkeit aussetzte, sobald sie sich dem Fluss näherten, doch Warrichatta in seiner Weisheit hatte ihm davon abgeraten.
            »Ich habe sie überall auf der Welt gesehen«, sagte er. »Sie sind zu zahlreich. Gongora kann nicht helfen. Sie spucken auf ihn.«
            »Auf Gongora? Dann müssen sie sehr mächtig sein.«
            »Ich will mit deinen Dingo-Leuten für dich sprechen, Tibbaling. Deine Dingo-Leute sind sehr klug. Ich werde veranlassen, dass sie sich mit den mächtigen Hai-Geistern aller Meere treffen und in Erfahrung bringen, was du über die weißen Eindringlinge wissen musst.«
           

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