Im Land der tausend Sonnen
er verfügte über die Weisheit des Älteren. Doppelmann musste wohl überaus wichtig sein, eine andere Erklärung fand er nicht. Er hätte gern Beißt danach gefragt, fürchtete aber, ihn zu kränken. Unhöflich zu sein. Wer kannte sich schon mit den Geistern der Weißen aus?
Er wanderte zum Tor und drehte sich ohne besonderen Grund noch einmal um. Hatte ein Winken oder vielleicht ein Lächeln ihn dazu veranlasst? Doch was er dann sah, ließ ihn erschrocken zurückweichen.
Pastor Beitz stand gebeugt in seinem Garten, begutachtete das Gemüse, und ihm gegenüber, auf der anderen Seite, stand Doppelmann. Niemand sonst war zu sehen. Keine Menschenseele. Alle schienen verschwunden zu sein, die Arbeiter, selbst der Heilige Geist war nicht mehr da. Nur die beiden Männer. Er sah den neuen Priester hoch aufgerichtet da stehen, groß und stolz, und dann kam dieser Blitz. Tibbaling traute seinen Augen nicht! Der neue Mann richtete den Knochen auf Würdig Beißt. Richtete den Knochen auf ihn! Beschwor den Tod auf ihn herab. Auf den armen Beißt.
Dann war es vorüber. Nur dieser eine Blitz der Erkenntnis. Jetzt waren alle anderen wieder da und arbeiteten aus Leibeskräften. Frauen folgten Beißt mit Körben, um Gemüse zu ernten. Tom Großzeh stöhnte, suchte nach einer Fluchtmöglichkeit, Doppelmann harkte die Erde, in der der Felsblock gesteckt hatte, ruhig, bedächtig, und der Heilige Geist lag wie ein Schatten über ihm, und Hüpf-Jim schleifte mit Hilfe von Seilen den Felsbrocken fort.
Tibbaling schob sich in den Busch und ließ sich unter einem Schutzdach aus dichtem Laub nieder, um das Gesehene zu verdauen. Derartige Angelegenheiten waren ihm nicht neu. Wie konnte das sein? Warum richtete jemand den Knochen auf einen guten Mann, einen ehrbaren Alten? Der ein makelloses Leben geführt hatte, das war leicht zu sehen. Warum sollte ihm jemand Böses wünschen?
Tibbaling zweifelte nicht an dem, was er gesehen hatte. Keinen Augenblick. Und er wusste, er hatte kein Recht, sich einzumischen. Hier ging es um Stammesangelegenheiten. Aber was er gesehen hatte, war die Wahrheit. Schon mancher Schwarze hatte versucht, den Knochen auf Feinde zu richten, ohne das nötige Wissen zu besitzen, um die Zeremonie durchzuführen, und deshalb hatte es nichts zu bedeuten … Warum auch?, überlegte er. Unmöglich, dass die Leute hier herumlaufen und auf alles und jeden den Knochen richten. Dann würde ja Chaos in den Lagern herrschen.
Und der Doppelmann hat gewiss nicht die geringste Ahnung, wie die Zeremonie richtig durchgeführt wird, also überleg doch mal, Alter. Und das tat er. Er kaute Tabak und überlegte. Schließlich kam ihm die Erkenntnis, dass ein weißer Geist zu ihm vorgedrungen war. Kam er ihnen näher? Ließ er sich zu sehr auf sie ein? War es an der Zeit, sich zurückzuziehen, bevor er in Verwirrung geriet?
Dies alles war sehr beängstigend. Er saß stundenlang am selben Ort, blickte über das Feld hinaus, lange noch, nachdem die Arbeiter gegangen waren, lange noch, nachdem die unentschiedenen Wolken in der Dunkelheit verschwommen waren, doch er wagte nicht zu gehen, bevor sein über alle Maßen trauriges Herz die Bedeutung des Erlebten erfasst hatte. Seine alten Muskeln verkrampften sich. Seine Knochen schmerzten. Aber er ließ nicht locker. Die Zeremonie des Knochen-Richtens hatte stattgefunden, und das würde er nicht leugnen, obwohl ihn Stimmen zum Schweigen bringen, ihn ablenken wollten, böse Stimmen, während andere, sanftere, freundlichere ihm von Trugbildern erzählten, doch er rang mit der Erkenntnis, dass irgendetwas an der Zeremonie falsch gewesen war. Im Verlauf seines bewegten Lebens hatte er sie oft genug gesehen; er müsste wissen, sagten die Stimmen, dass es doch nur ein Trick war. Noch dazu schlecht ausgeführt. Jeder Anfänger konnte es besser.
Die Stimmen selbst waren ein Tumult. Einige versuchten, ihm einzureden, er hätte nichts Wirkliches gesehen, andere wollten ihm zeigen, dass alles völlig falsch war, doch er wollte nichts hören. Er wollte tiefer gehen, den Grund für alles finden, doch die Wasser waren sehr tief. Und dunkel. Und Angst einflößend. Er weinte, von seinen eigenen Geistern im Stich gelassen in seinem Bemühen, die Geheimnisse der Welt der Weißen zu durchdringen.
»Lass es«, sagten sie. »Belästige uns nicht mit denen.«
Das
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