Im Land der tausend Sonnen
»Was habe ich?«, schrie Lukas.
»Sie sollten sich schämen, Mr Fechner. Ihre Frau hat Grauenhaftes durchgestanden, und Sie stoßen sie von sich. Haben Sie kein Mitleid, oder sind Sie so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass Sie …«
Doch Lukas war längst fort, rannte zur Quay Street, sprang über die kleine Mauer, die die für einen kleinen Park vorgesehene Fläche abteilte, und stürmte quer über die Straße. Doch keiner hatte Zeit, darüber nachzudenken, denn die ersten heftigen Windstöße fegten über die Stadt hinweg.
Ein Baum knickte um und stürzte krachend zu Boden. Die Bühne wurde hinweggewirbelt wie eine Streichholzschachtel. Dann rannten alle los, flüchteten über die Straße und suchten Schutz, wo immer sie ihn fanden, in Läden, Hotels, Häusern, und der Wind fegte durch die Straßen der Stadt.
Mit gesenktem Kopf kämpfte Lukas sich voran, versuchte, herumfliegenden Ästen auszuweichen, hielt sich, wenn möglich, dicht an die Gebäude, rannte über freie Plätze. Er war sich der Gefahr sehr wohl bewusst, konnte jedoch nicht mehr umkehren. Er musste Hanni sehen.
Stimmte es? Das Grauenhafte, was Hackett gesagt hatte? Wer hatte Hanni vergewaltigt? Lukas wusste, dass er diese Frage nicht zu stellen brauchte. Er wusste es. Jetzt noch sah er das höhnische Grinsen auf Dixons Gesicht. Und dieses Mal sah er noch mehr dahinter. Hatte Hackett Recht? War Lukas selbst der Schuldige?
Lukas schluchzte, als er vor der Haustür ankam. Der vordere Zaun lag flach, und zwei Palmen wurden vom Wind umhergepeitscht. Er hämmerte gegen die Tür und stürmte in das kleine Wohnzimmer, rief nach Hanni, tastete sich im Dunkeln weiter und stolperte über Möbelstücke, bis er sie rufen hörte.
»Wer ist da? Lukas, bist du das?«
Sie kauerte starr vor Angst in einer Ecke.
Auch Lukas hatte Angst. Angst, dass sie ihm niemals vergeben würde.
Er kauerte mit ihr zusammen im Dunkeln, drückte sie an sich und wartete auf das Ende des Sturms.
Nach der Veranstaltung räumten die Frauen den Saal auf, während Keith und J. B. ein Treffen mit ihren Freunden abhielten, um die bedeutend wichtigere Kampagne der nächsten Woche in Maryborough zu planen.
»Alles dürfte wie am Schnürchen laufen«, sagte J. B., »wenn wir meinen Sohn vom Lokus bringen könnten.«
»Sehr witzig«, sagte Keith und nahm den Spott wegen seines Malheurs ausgesprochen wohlwollend auf, was alle überraschte. Die anderen vier Männer an dem kahlen Tisch waren in J. B.s Alter, sämtlich wohlhabende Schafzüchter, entschlossen, ihre riesigen Farmen vor dem Eindringen ausländischer Siedler zu schützen. Diese Männer verstanden nicht, warum die Regierung sie zwang, ihren Besitz zu verkleinern, was bedeuten würde, dass sie die Anzahl ihrer Schafe reduzieren mussten, obwohl doch jedermann wusste, dass Australien durch die Schafe zu Reichtum gelangen würde. Ihre Wolle war Gold wert. Als der erste Ballen reiner, perfekter australischer Wolle in London verkauft wurde, kam es zu Aufruhr und Chaos. Wollprüfer und Käufer waren Amok gelaufen, versuchten, die Verkäufer festzunageln, kehrten anderen Angeboten den Rücken, und die Massen drängten vorwärts, um dieses aufregende Ereignis zu bezeugen.
J. B. und seine Freunde hatten in gewisser Weise Recht. Sie hatten den Standard gehalten. Ihre Wolle war immer noch von außergewöhnlicher Schönheit – denn sie hegten und pflegten ihre kostbaren Zuchtwidder wie Säuglinge. Ihre Schafe gaben erstklassige Wolle. Und Geld floss in ihre Kassen. Und das Land prosperierte. Aber das hatte sich herumgesprochen, und nun kamen die Siedler. Und die Farmer, die sie mit Nahrungsmitteln versorgten. Was zur Zerstückelung dieser großen Besitztümer in Küstennähe führte.
Aber eine Zeit lang konnten sie nun doch noch das Zepter schwingen. Abgeordnete, Richter, hochrangige Beamte, Polizeifunktionäre waren immer noch auf sie angewiesen. Die meisten dieser Herren stammten aus alten Züchterfamilien, und jetzt war es wichtiger denn je, dass diese Familien zusammenstanden. Keiner von ihnen hielt viel von Keith, den sie von Geburt an kannten, aber keiner von ihnen kritisierte ihn. Es war bedeutungslos für sie, dass Keith gelegentlich ein rechter Trottel war. Sie
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