Im Land der tausend Sonnen
sie vor einem großen Sandsteingebäude, dem Regierungssitz. Wie sie erfuhren, war er erst ein paar Jahre alt.
Rolf Kleinschmidt war wieder einmal in seinem Element. Mit seinen Fragen hatte er Beitz schon die ganze Zeit an den Rand des Wahnsinns getrieben. Dieses Mal wollte er wissen, wo denn die Regierung untergebracht war, bevor das Haus gebaut wurde, und als niemand seine Frage beantworten konnte, ging er einfach in das Haus hinein und kam wenig später mit einer Broschüre und einem Schatz an Wissen wieder heraus.
»Vorher gab es keine Regierung«, verkündete er grinsend.
»Jetzt bin ich noch verwirrter als vorher.«
Eva mochte ihn. Sie verstand diesen Wissensdurst. Früher war sie selbst auch so gewesen. Ihr Vater pflegte zu sagen: »Dieses Mädchen verhört noch den Erzengel an der Himmelspforte!« Doch die Ehe und eine ganze Reihe von Schicksalsschlägen hatten sie gelehrt, sich das Leben nicht noch schwerer zu machen, als es ohnehin schon war, und sich lieber auf das nächstliegende Problem zu konzentrieren. Mit achtunddreißig wusste Eva, dass von jenem wissbegierigen Mädchen nur noch ein schwacher Abglanz in ihr war. Der aber war, weiß Gott, immerhin da.
Seit zwei Jahren hatten sie und Theo und die Kinder sich mit einer Zwei-Zimmer-Wohnung in einem Mietshaus in den Hamburger Elendsvierteln begnügen müssen: mit einer Küche, die zumindest einen Herd aufwies, um die Familie zu wärmen, sofern sie sich Holz leisten konnte, und einem Schlafzimmer. Mehr nicht.
Beitz brach in ihre Gedanken ein. »Schön. Wir haben die Stadt gesehen. Jetzt gehen wir zurück zum Hafen und an Bord des Dampfers Tara . Sehen Sie, so wird es geschrieben … T-A-R-A … Und, nein, Rolf, ich weiß nicht, was das Wort bedeutet.«
»Gehen Sie nur schon zum Dampfer, Herr Pastor«, sagte Rolf. »Wir bleiben noch hier. Er legt ja erst um vier Uhr heute Nachmittag ab. Ich denke, es wird den Kindern gut tun, wenn sie noch eine Weile an Land bleiben.«
Seine Frau Rosie lachte. »Und den großen Kindern auch.«
Eva hätte Rolf Kleinschmidt gern zugestimmt, doch sie sorgte sich ums Essen. Es war Mittag, ihre Kinder, Robie, Hans und Inge, hatten Hunger, und sie besaß kein Geld. Die Zimmermanns waren mit Beihilfe zur Überfahrt gereist, wie sämtliche Kleinschmidts und ein paar weitere in der Gruppe, und sie verfügten über sehr geringe eigene Ersparnisse. Noch bevor sie in Brisbane angelegt hatten, war eins zum anderen gekommen, und jetzt hatte ihr Mann Theo nur noch ein paar Shilling in der Tasche, was Eva höchst peinlich war, Theo allerdings nicht weiter störte.
»Wir würden gern noch bleiben, Rolf«, sagte sie schnell, »aber es geht nicht. Wir müssen zurück aufs Schiff.«
»Müssen Sie nicht«, widersprach Rolf. »Der Tag ist so schön, und hier unten am Fluss haben wir so ein hübsches Plätzchen, da sollten wir ein Picknick machen. Bleibt nur alle hier, Walther und ich besorgen was zu essen!«
Walther Badke war ein kräftiger Bursche, von Beruf Braumeister, und er hatte sich zu einem glühenden Bewunderer von Pastor Beitz entwickelt. Eva hatte gehört, dass Walther ihm ohne zu zögern in die finsterste Wildnis folgen würde, so groß war sein Glaube an die Mission des Geistlichen. Als Zynikerin nahm sie an, dass sie alle es wahrscheinlich ohnehin tun würden. Nach allem, was sie bisher gesehen hatte, barg die dunkelgrüne Wand dieses Küstenstreifens unzählige Schrecken.
Trotzdem verlebten sie einen wunderschönen Tag, und die Kinder konnten nach all diesen Wochen auf See endlich wieder umherlaufen und spielen. Die zwei Männer kamen mit einer Kiste frischer Lebensmittel zurück, einschließlich Brot, Fleisch, Käse und einem waren Berg von Obst. Eva warf einen Blick auf ihren ältesten Sohn Robie, zehn Jahre alt, und sie freute sich, dass er so gesund aussah. Er hatte von Geburt an unter ernsten Atemwegsproblemen gelitten und erkältete sich bei jedem Windhauch, doch jetzt rannte er umher, ohne wie sonst zu keuchen und pfeifend nach Luft zu ringen. Die Ärzte hatten gesagt, Robie sei kein langes Leben beschieden, der magere Junge besäße nicht die Kraft, sich gegen die ständigen schlimmen Erkältungen zur Wehr zu setzen … Eva hoffte inständig, dass sie sich geirrt hatten.
Robies Gesundheit war der
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