Im Land der tausend Sonnen
einzige Grund, der sie zur Emigration bewogen hatte. Sie wollte ihre Kinder in ein wärmeres Klima führen und hoffte, dass Theo es dieses Mal richtig anpackte und die Emigration nicht nur eine weitere seiner hirnrissigen Flausen war. Sie seufzte. Ihr Mann hatte so ziemlich alles versucht und jedes Mal versagt, und er versagte weiterhin, obwohl er mit jeder neuen Arbeitsstelle beteuerte, dass er es dieses Mal schaffen würde. Er war Straßenverkäufer gewesen, Bote, Schuster, Zirkusclown, Krankenpfleger, alles Mögliche, und jetzt, im neuen Land, betrachtete er sich schon als Bauer. Wahrscheinlich als Landedelmann, dachte sie grimmig, doch sie hatte ihn gewarnt, dass sich einiges ändern würde, sobald sie in dieser Stadt Bundaberg ankamen.
Sie hatte beschlossen, hatte sich geschworen, dass sie seine Flausen nicht länger hinnehmen würde. Auch nicht die eines x-beliebigen anderen. Die Zeit, da sie sich hatte herumstoßen lassen, war vorbei. Neues Land, neues Leben, dachte Eva. Sie wusste inzwischen, wenn sie nicht selbst die Verantwortung für ihre Familie, für ihre Kinder schulterte, dann tat es keiner. Und, Gott sei Dank, bislang war das Klima auf ihrer Seite. Zumindest in dem Punkt hatte Theo Recht gehabt. Es war April, und es war ein herrlicher Tag, blau und sonnig, ohne eine Wolke am Himmel.
Sie standen alle an Deck, als der kleine Dampfer PS Tara Herveys Bucht in Richtung auf den Leuchtturm bei Burnett Heads durchpflügte, und als der Lotse an Bord kam, war Pastor Beitz so aufgeregt, dass ihm eine Ohnmacht drohte. Frieda Meissner fand ein Plätzchen an Deck für ihn, wo er sich hinsetzen konnte, und sie ließ ihren Sohn Karl bei ihm zurück, während sie sich auf die Suche nach Jakob machte. Sie fand ihn unter Deck, wo er das Gepäck der Gruppe stapelte und zählte.
»Lass das jetzt«, sagte sie. »Dafür bleibt noch Zeit genug, wenn das Schiff anlegt. Wir durchfahren eine so herrliche Bucht …«
»Ich weiß.« Er lächelte. »Ich habe sie schon gesehen. Sie heißt Herveys Bucht.«
»Und wir steuern in den Fluss Burnett hinein«, fuhr sie fort. »Der führt zu der Stadt Bundaberg. Dies ist die letzte Etappe unserer Reise, Jakob, und ich will, dass wir drei sie zusammen erleben. Also bitte, komm jetzt an Deck.«
Jakob war überrascht. Seine Frau ließ sich höchst selten zu Sentimentalitäten hinreißen, doch er begriff, dass dies eine wichtige Zeit für die Meissners war, sozusagen ein historischer Augenblick.
Er nickte und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Wie du willst, Liebste.«
Sie stellten sich mit den anderen Passagieren längs der Reling auf, während das Schiff langsam stromaufwärts glitt, und blickten hinaus auf die mit grünem Wald gesäumten Ufer.
»Ich wüsste gern, wo unser Land liegt«, sagte Karl. »Vielleicht fahren wir sogar daran vorüber.«
»Möglich.« Der Landkauf bereitete Jakob immer noch Sorgen. Er wusste inzwischen, dass viele Leute auf Anraten von Agenten unbesehen Land gekauft hatten, doch dieses Vorgehen war ihm nach wie vor nicht geheuer.
Er schaute sich um. Über die Wälder hinweg war wenig zu sehen, und weit und breit war auch kein Berg in Sicht. Also musste es sich um ziemlich flaches Land handeln, gut für die Landwirtschaft. Die Luft war sauber, frisch und süß, und als ihm bewusst wurde, dass er den Geruch kannte, streckte er die Hand nach Karl aus.
»Riech mal, Junge. Eukalyptus. Der Duft ist ziemlich kräftig. Schau in den Wald, da kannst du überall Eukalyptusbäume sehen.«
Jakob freute sich über dieses bisschen Wissen in dem fremden Land. Denn fremd war es, ganz gleich, wie viel sie darüber gelesen oder gehört hatten. Im Unterbewusstsein blieb eine Vorstellung davon, wie Luft zu riechen hatte, wie Wälder aussehen sollten, doch diese Wälder waren ungewöhnlich … Er erkannte Palmen zwischen den Laubbäumen und schulterhohe Gräser, die sich gelb vom dunklen Laub abhoben. Und dann dieser Fluss … Merkwürdig, dass so ein großer Fluss so träge dahinfloss. Und man hätte erwartet, dass ein abgelegener Landstrich wie dieser still und friedlich wäre, aber nein, über das dumpfe Stampfen der Maschinen hinweg ertönten aufgeregte Vogelstimmen und Schreie aus den Bäumen, und gelegentlich stob eine Wolke wunderschöner bunter Vögel am
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