Im Land der weissen Rose
Begrüßung
nicht die Hände gaben, sondern die Nasen rieben. Dieses
Zeremoniell nannte man hongi, und Gwyneira übte es mit den
kichernden Kindern. Lucas war entsetzt, als sie davon erzählte,
und Gerald ermahnte sie: »Wir sollten uns auf keinen Fall zu
sehr verbrüdern. Diese Leute sind primitiv, sie müssen ihre
Grenzen kennen.«
»Ich finde, es ist immer gut, wenn man sich besser
verständigen kann«, widersprach Gwyn. »Warum sollen
gerade die Primitiven die Sprache der Zivilisierten lernen? Umgekehrt
müsste es doch viel leichter gehen!«
Helen kauerte neben der Kuh und versuchte, ihr gut zuzureden. Das
Tier wirkte denn auch durchaus freundlich, was keineswegs
selbstverständlich war, wenn sie Daphne auf dem Schiff richtig
verstanden hatte. Angeblich musste man sich bei mancher Milchkuh in
Acht nehmen, dass sie beim Melken nicht ausschlug. Doch selbst die
bereitwilligste Kuh konnte das Melken nicht allein erledigen. Helen
wurde gebraucht – nur klappte es einfach nicht. Egal wie sie am
Euter zog und knetete, mehr als ein oder zwei Tropfen Milch kamen
nie. Dabei hatte es bei Howard ganz leicht ausgesehen.Allerdings
hatte er es ihr nur einmal gezeigt; er war immer noch verstimmt nach
dem Desaster von gestern Abend. Als er vom Melken zurückkam,
hatte der Ofen die Stube in eine verqualmte Höhle verwandelt. In
Tränen aufgelöst, hockte Helen vor dem eisernen Ungeheuer,
und gefegt hatte sie natürlich auch noch nicht. Howard hatte in
verbissenem Schweigen Ofen und Kamin angefeuert, ein paar Eier in
eine Eisenpfanne geschlagen und Helen das Essen auf den Tisch
gestellt.
»Ab morgen kochst du!«, erklärte er dabei und
hörte sich an, als kenne er nun wirklich kein Pardon mehr. Helen
fragte sich,was sie kochen sollte. Außer Milch und Eiern war
doch wohl auch am nächsten Tag nichts im Haus. »Und Brot
musst du backen. Getreide ist da im Schrank.Außerdem Bohnen,
Salz... du wirst dich schon zurechtfinden. Ich verstehe, dass du
heute müde bist, Helen, aber so nützt du mir nichts!«
Bei Nacht hatte sich dann das Erlebnis von gestern wiederholt.
Diesmal trug Helen ihr schönstes Nachthemd, und sie lagen
zwischen sauberen Laken, was die Erfahrung aber auch nicht angenehmer
machte. Helen war wund und schämte sich schrecklich. Howards
Gesicht, das nackte Lüsternheit spiegelte, ängstigte
sie.Aber diesmal wusste sie wenigstens,dass es schnell vorbeiging.
Danach schlief Howard rasch ein.
An diesem Morgen nun hatte er sich auf den Weg gemacht, um die
Schafherden zu inspizieren. Vor dem Abend, ließ er Helen
wissen, würde er nicht zurück sein. Und dann erwartete er
ein warmes Haus, ein gutes Essen und eine aufgeräumte Stube.
Helen scheiterte schon beim Melken.Aber jetzt, als sie wieder
verzweifelt am Euter der Kuh zog, klang ein verstohlenes Kichern aus
Richtung Stalltür. Dazu flüsterte jemand etwas.Helen hätte
sich zweifellos gefürchtet, wären die Stimmen nicht hell
und kindlich gewesen. So richtete sie sich nur auf.
»Kommt raus, ich sehe euch!«, behauptete sie.
Erneutes Glucksen.
Helen ging zur Tür, sah aber nur noch zwei kleine, dunkle
Gestalten wie ein Blitz durch die halb offene Tür verschwinden.
Nun, weit würden die nicht laufen, dafür waren sie viel
zu neugierig.
»Ich tue euch nichts!«, rief Helen. »Was habt
ihr gewollt, Eier stehlen?«
»Wir nicht stehlen, Missy!« Ein empörtes
Stimmchen. Da hatte Helen wohl jemanden in seiner Ehre gekränkt.
Hinter der Stallecke schob sich ein kleines kastanienbraunes Wesen
hervor, nur mit einem Röckchen bekleidet. »Wir melken,
wenn Mr. Howard weg!«
Aha! Den beiden verdankte Helen den Auftritt von gestern!
»Gestern habt ihr aber nicht gemolken!«, sagte sie
streng. »Mr. Howard war sehr böse.«
»Gestern waiata-a-ringa ...«
»Tanz«, ergänzte das zweite Kind, diesmal ein
kleiner Junge, bekleidet mit einem Lendenschurz. »Ganze Volk
tanzen. Keine Zeit für Kuh!«
Helen verzichtete auf die Belehrung, eine Kuh müsse ohne
Rücksicht auf Festivitäten täglich gemolken werden.
Das hatte sie bis gestern schließlich auch nicht gewusst.
»Aber heute könnt ihr mir helfen«, erklärte
sie stattdessen. »Ihr könnt mir zeigen, wie es geht.«
»Wie was geht?«, fragte das Mädchen.
»Melken. Das mit der Kuh«, seufzte Helen.
»Du nicht wissen wie
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