Im Land der weissen Rose
Warden dieses
Kind gezeugt hatte, dann ...
»Oh Gott, Gwyn ...« Helen wusste, dass sie ihren
Verdacht niemals aussprechen durfte, doch ihr selbst stand das
Szenario nun deutlich vor Augen. Gerald Warden musste Gwyneira
geschwängert haben – und es sah nicht aus, als wäre
es mit Gwyns Zustimmung erfolgt. Tröstend nahm sie die Freundin
in die Arme. »Oh, Gwyn, ich war so dumm. Ich hätte es
gleich wissen müssen. Stattdessen quäle ich dich mit
tausend Fragen.Aber du ... du musst das jetzt vergessen! Egal, wie
Paul gezeugt worden ist. Er ist dein Sohn!«
»Ich hasse ihn!«, schluchzte Gwyneira.
Helen schüttelte den Kopf. »Dummes Zeug. Du kannst ein
kleines Kind nicht hassen. Was immer auch geschehen ist, Paul kann
nichts dafür. Er hat ein Anrecht auf seine Mutter, Gwyn. Genau
wie Fleur und Ruben. Denkst du, dessen Zeugung hätte mir
besonderen Spaß gemacht?«
»Du hast es immerhin freiwillig getan!«, brauste Gwyn
auf.
»Dem Kind ist das egal. Bitte, Gwyn, versuch es wenigstens.
Bring den Kleinen mit, stell ihn den Frauen in Haldon vor – sei
ein bisschen stolz auf ihn! Dann wird es schon mit der Liebe!«
Gwyneira hatte das Weinen gut getan, und sie war erleichtert, dass
Helen nun Bescheid wusste, ohne sie zu verurteilen. Die Freundin
hatte offensichtlich keinen Moment lang angenommen, Gwyn hätte
Gerald freiwillig beigelegen – ein Albtraum, der Gwyneira
verfolgte, seit sie von der Schwangerschaft erfahren hatte. Seit
James’ Weggang ging ein solches Gerücht im Stall herum,
und Gwyn war nur froh, dass es wenigstens James McKenzie entgangen
war. Sie hätte es nicht ertragen, von James danach gefragt zu
werden. Wobei Gwyns »Züchter-Ich« den Gedankengang
durchaus nachvollziehen konnte, der ihre Arbeiter und Freunde zu
dieser Annahme bewog. Nachdem Lucas’ Versagen offenkundig war,
wäre die Zeugung des Erben mit Gerald eine durchaus nahe
liegende Lösung gewesen. Gwyn fragte sich, warum sie bei der
Suche nach dem Vater für ihr erstes Kind nicht auf diese Idee
gekommen war – vielleicht, weil Lucas’ Vater ihr so
aggressiv entgegentrat, dass sie jedes Alleinsein und jedes Gespräch
mit ihm fürchtete.Aber Gerald selbst mochte oft mit dem Gedanken
gespielt haben, und vielleicht war auch das ein Grund für sein
Trinken und seinen Ärger: Womöglich diente alles dazu, die
verbotene Lust und den ungeheuerlichen Gedanken, den eigenen »Enkel«
kurzerhand selbst zu zeugen, gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Gwyn war tief in Gedanken versunken, als sie den Wagen nach Hause
lenkte. Zum Glück brauchte sie Fleur nicht zu beschäftigen;
sie ritt stolz und glücklich allein neben der Chaise her. George
Greenwood hatte dem kleinen Paul zur Taufe ein Ponygeschenkt –
er musste das von langer Hand geplant und die kleine Stute bereits in
England bestellt haben, kaum dass er von Gwyns Schwangerschaft gehört
hatte. Fleurette hatte das Pferdchen natürlich sofort
vereinnahmt und kam vom ersten Moment an großartig damit
zurecht. Bestimmt würde sie es nicht aufgeben, wenn Paul
heranwuchs. Gwyn würde sich da etwas einfallen lassen müssen,
aber das hatte Zeit. Vorerst musste sie sich mit dem Problem
befassen, dass Paul in Haldon als Bastard galt. Es ging nicht an,
dass über den Erben der Wardens getuschelt wurde. Gwyneira
musste ihre Ehre und die ihres Namens verteidigen!
Als sie endlich auf Kiward Station eintraf, begab sie sich sofort
in ihre Räume und suchte nach dem Kind. Wie erwartet fand sie
die Wiege leer. Erst nach einigem Suchen entdeckte sie Kiri mit
beiden Säuglingen an jeweils einer Brust in der Küche.
Gwyn zwang sich zu einem Lächeln.
»Da ist ja mein Junge«, bemerkte sie freundlich. »Wenn
er fertig ist, Kiri, kann ich ihn dann ... kann ich ihn dann mal
halten?«
Falls Kiri dieser Wunsch merkwürdig erschien, ließ sie
es sich nicht anmerken. Stattdessen lächelte sie Gwyn strahlend
zu. »Klar! Wird freuen zu sehen Mama!«
Doch Paul freute sich keineswegs. Stattdessen brüllte er los,
kaum dass Gwyn ihn aus Kiris Armen nahm.
»Er nicht meint so«, murmelte Kiri verlegen. »Ist
nur nicht gewöhnt.«
Gwyn schaukelte das Kind in den Armen und bemühte sich, die
sofort aufkommende Ungeduld niederzukämpfen. Helen hatte Recht,
das Kind konnte nichts dafür. Und objektiv betrachtet war Paul
wirklich ein
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