Im Land der weissen Rose
langfristig«, meinte
er, als das Mädchen zielstrebig einen plüschigen Salon
durchquerte, von dem mehrere nummerierte Zimmer abgingen.
Daphne nickte. »Deshalb hat Miss Jolanda auch Zeter und
Mordio geschrien, als ich David hinaufbringen ließ.Aber wo
sollten die Leute denn hin mit ihm, so schwer krank, wie er war? ’nen
Doc haben wir noch nicht. Der Barbier hat das Bein geschient, aber so
fiebrig und halb verhungert konnten sie ihn doch nicht in den Stall
legen!Also hab ich mein Zimmer zur Verfügung gestellt. Die
Kunden mach ich jetzt zusammen mit Mirabelle, und die Alte zieht mir
den halben Lohn als Zimmermiete ab. Dabei zahlen die Kerle ganz gern
für das Doppel, ich nehm garantiert nicht weniger ein. Na ja,
die Alte ist gierig wie ’n Höllenschlund. Ich hau auch
bald ab hier. Wenn Davey gesund ist, nehm ich meine Kinder und such
mir was Neues.«
Kinder hatte sie also auch schon. George seufzte. Das Mädchen
musste ein hartes Leben führen! Dann aber konzentrierte George
sich nur noch auf das Zimmer, das Daphne jetzt öffnete, und den
jungen Mann, der auf dem Bett lag.
David war kaum mehr als ein Knabe. Er wirkte klein in dem
plüschigen Doppelbett, und sein geschientes und dick
bandagiertes rechtes Bein, das in einer komplizierten Konstruktion
aus Stützen und Seilen hochgelagert war, verstärkte diesen
Eindruck. Der Junge lag mit geschlossenen Augen da. Sein hübsches
Gesicht unter dem wirren blonden Haar war blass und abgehärmt.
»Davey?«, fragte Daphne freundlich. »Hier ist
Besuch für dich. Ein Herr aus...«
»Christchurch«, ergänzte George.
»Er will Luke gekannt haben. Davey, wie hieß Luke mit
Nachnamen? Das weißt du doch?«
Für George, der inzwischen einen kurzen Blick durchs Zimmer
geworfen hatte, war die Frage ohnehin schon beantwortet.Auf dem
Nachttisch des Jungen lag ein Skizzenblock mit Zeichnungen, gehalten
in einem absolut typischen Stil.
»Denward«, sagte der Junge.
Eine Stunde später kannte George die ganze Geschichte. David
erzählte von Lucas’ letzten Monaten als Bauarbeiter und
Bauzeichner und schilderte schließlich ihre unselige Goldsuche.
»Es ist ganz allein meine Schuld!«, sagte er
verzweifelt. »Luke wollte das alles gar nicht ... und dann
musste ich auch noch versuchen, diesen Felsen herunterzuklettern. Ich
hab ihn umgebracht! Ich bin ein Mörder!«
George schüttelte den Kopf. »Du hast einen Fehler
gemacht, Junge, vielleicht auch mehrere.Aber wenn es so war, wie du
erzählt hast, war es ein Unfall. Hätte Lucas das Seil
besser befestigt, wäre er noch am Leben. Du darfst dir nicht
endlos Vorwürfe machen, damit ist keinem gedient.«
Im Stillen dachte er, dass dieser Unfall genau zu Lucas passte.
Ein Künstler, hoffnungslos unfähig im praktischen Leben.
Dabei so ein Talent, so eine Vergeudung!
»Wie bist du dann gerettet worden?«, fragte George.
»Ich meine, wenn ich es recht verstanden habe, wart ihr doch
ziemlich weit weg von hier.«
»Wir ... wir waren gar nicht so weit weg«, sagte
David. »Wir hatten uns beide verrechnet. Ich dachte, wir wären
bestimmt vierzig Meilen geritten, dabei waren es gerade mal
fünfzehn.Aber zu Fuß hätte ich das trotzdem nicht
geschafft ... mit dem verletzten Bein. Ich war sicher, sterben zu
müssen.Aber erst... erst hab ich Luke begraben. Gleich am
Strand. Nicht sehr tief, fürcht ich, aber... aber es gibt hier
doch keine Wölfe, oder?«
George versicherte ihm, dass kein wildes Tier auf Neuseeland den
Toten ausgraben würde.
»Und dann hab ich gewartet ... darauf gewartet, dass ich
auch sterbe. Drei Tage, glaub ich ... irgendwann weiß ich
nichts mehr, ich hatte dann Fieber, hab’s auch nicht mehr zum
Fluss geschafft, um Wasser zu trinken ... Aber inzwischen war unser
Pferd nach Hause gekommen, da hat Mr. Miller sich wohl gedacht, dass
was nicht stimmt. Wollte gleich einen Suchtrupp schicken, aber die
Männer haben ihn ausgelacht. Luke ... Luke war nicht so
geschickt mit Pferden, wissen Sie. Alle haben gedacht, er hat den
Gaul einfach nicht richtig festgebunden, und er ist ihm weggelaufen.
Aber als wir dann nicht wiederkamen, haben sie doch ein Boot
raufgeschickt. Der Barbier ist sogar mitgefahren. Und sie haben mich
gleich gefunden. Nur zwei Stunden paddeln, sagten sie. Ich hab da
aber gar nichts von mitgekriegt.Als ich aufwachte, war ich hier ...«
George
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