Im Land der weissen Rose
Fleur, Gerald Warden kann dich zu gar nichts
zwingen. Er ist streng genommen auch nicht dein Vormund ...«
»Aber ...«
»Es gilt als dein Vormund, weil er als dein Großvater
gilt. Das ist er aber nicht. Lucas Warden war nicht dein Vater.«
Jetzt war es heraus. Gwyneira biss sich auf die Lippen.
Fleurette blieb ihr Schluchzen im Hals stecken.
»Aber ...«
Gwyn setzte sich neben sie und nahm sie in den Arm. »Hör
zu, Fleur. Lucas, mein Mann, war ein guter Mensch.Aber er... nun, er
konnte keine Kinder zeugen. Wir haben es versucht, aber es hat nicht
geklappt. Und dein Großva... und Gerald Warden machte uns das
Leben zur Hölle, weil er keinen Erben für Kiward Station
hatte. Und da habe ich ... da habe ich ...«
»Du hast meinen Vat... deinen Mann, wollte ich sagen,
betrogen?« In Fleurettes Stimme lag Fassungslosigkeit.
Gwyn schüttelte den Kopf. »Nicht mit dem Herzen, wenn
du verstehst. Nur um ein Kind zu bekommen. Danach war ich ihm immer
treu.«
Fleurette runzelte die Stirn. Gwyn sah geradezu, wie es in ihrem
Kopf arbeitete.
»Und woher kommt dann Paul?«, fragte sie schließlich.
Gwyn schloss die Augen. Nicht auch das noch ...
»Paul ist ein Warden«, sagte sie. »Aber lass uns
nicht über Paul reden. Fleurette, ich glaube, du solltest hier
weggehen ...«
Fleur schien sie gar nicht zu hören.
»Wer ist mein Vater?«, fragte sie leise.
Gwyneira überlegte kurz.Aber dann entschloss sie sich, die
Wahrheit zu sagen.
»Unser damaliger Vormann. James McKenzie.«
Fleurette sah sie mit riesigen Augen an.
»Der McKenzie?«
Gwyneira nickte. »Genau der. Es tut mir Leid, Fleur...«
Fleurette schien zunächst sprachlos. Aber dann lächelte
sie.
»Das ist aufregend. Richtig romantisch. Weißt du noch,
wie Ruben und ich als Kinder immer Robin Hood gespielt haben? Und
jetzt bin ich sozusagen ... die Tochter eines Freisassen!«
Gwyneiraverdrehte die Augen. »Fleurette, werde erwachsen!
Das Leben im Hochland ist nicht romantisch, es ist hart und
gefährlich. Du weißt, was Sideblossom mit James tun
will,wenn er ihn findet.«
»Hast du ihn geliebt?«, fragte Fleurette mit
glänzenden Augen. »Deinen James, meine ich? Hast du ihn
richtig geliebt? Warst du traurig, als er wegging? Warum ist er
überhaupt weggegangen? Wegen mir? Nein, daskann nicht sein. Ich
erinnere mich an ihn. Ein großer Mann mit braunem Haar, nicht?
Er hat mich auf seinem Pferd reiten lassen und immer gelacht ...«
Gwyneira nickte schmerzlich.Aber sie durfte Fleurette in ihren
Träumereien nicht unterstützen.
»Ich habe ihn nicht geliebt. Es war nur eine Vereinbarung,
eine Art ... Geschäft zwischen uns.Als du geboren wurdest, war
es vorbei. Und es hatte nichts mit mir zu tun, dass er ging.«
Streng genommen war das nicht einmal gelogen. Es hatte mit Gerald
zu tun gehabt, und mit Paul. Gwyneira spürte den Schmerz noch
immer.Aber Fleurette musste nichts davon wissen. Sie durfte nichts
davon wissen!
»Jetzt lass uns davon aufhören, Fleur, sonst ist die
Nacht bald vorbei. Du musst weg hier, bevor sie morgen eine große
Verlobung feiern und alles noch schlimmer machen. Pack ein paar
Sachen ein. Ich hol dir Geld aus meinem Büro. Du kannst alles
haben, was da ist, aber es ist nicht viel, die meisten Einnahmen
gehen direkt auf die Bank.Andy wird noch wach sein, er kann dir
Niniane holen. Und dann reitest du wie der Teufel, damit du weit weg
bist, wenn die Kerle morgen ihren Rausch ausgeschlafen haben.«
»Du hast nichts dagegen, dass ich zu Ruben reite?«,
fragte Fleurette atemlos.
Gwyneira seufzte. »Mir wäre sehr viel wohler, wenn ich
sicher wäre, dass du ihn fändest.Aber es ist die einzige
Möglichkeit, zumindest solange die Greenwoods noch in England
sind. Verflixt, ich hätte dich mitschicken sollen!Aber jetzt ist
es zu spät. Such deinen Ruben, heirate ihn und werde glücklich!«
Fleur umarmte sie. »Und du?«, fragte sie leise.
»Ich bleibe hier«, meinte Gwyn. »Jemand muss
sich um die Farm kümmern, und das tue ich gern, wie du weißt.
Gerald und Paul ... nun, die muss ich wohl nehmen, wie sie sind.«
Eine Stunde später saß Fleurette auf ihrer Stute
Niniane und galoppierte auf die Berge zu. Sie war mit ihrer Mutter
überein gekommen, dass sie nicht direkt nach Queenstown reiten
sollte. Gerald würde sich denken können, dass sie Ruben
suchte,
Weitere Kostenlose Bücher