Im Land Der Weissen Wolke
Brot gestohlen hat. Oder all die Iren, die sich gegen die Krone aufgelehnt hatten. Das waren oft sehr anständige Männer. Schurken gibt es überall, und ich für meinen Teil hab in Australien nicht mehr kennen gelernt als sonst wo auf der Welt.«
»Wo waren Sie denn sonst noch?«, fragte Gwyn neugierig, die McKenzie immer faszinierender fand.
Er grinste. »In Schottland. Da komme ich her. Ein echter Highlander. Aber kein Clan-Lord, meine Sippe war immer nur Fußvolk. Verstand sich auf Schafe, nicht auf Langschwerter.«
Gwyneira fand das ein bisschen schade. Ein schottischer Krieger wäre fast so interessant gewesen wie ein amerikanischer Cowboy.
»Und Sie, Miss Gwyn? Sind Sie wirklich auf einem Schloss aufgewachsen, wie man sich erzählt?« James schaute sie wieder von der Seite an. Aber er machte nicht den Eindruck, als würde er sich für Klatsch interessieren. Gwyn hatte das Gefühl, dass er sich ehrlich für sie interessierte.
»Ich bin in einem Herrenhaus groß geworden«, gab sie Auskunft. »Mein Vater ist ein Lord – allerdings keiner von denen, die im Kronrat sitzen.« Sie lächelte. »In gewisser Weise haben wir etwas gemeinsam: Die Silkhams haben es auch eher mit den Schafen als mit den Schwertern.«
»Und ist es für Sie ... verzeihen Sie, wenn ich frage, aber ich dachte immer ... Sollten Ladys nicht eigentlich Lords heiraten?«
Das war schon ziemlich indiskret, doch Gwyneira beschloss, es ihm nicht übel zu nehmen.
»Ladys sollten Gentlemen heiraten«, erwiderte sie unbestimmt; dann aber ging das Temperament doch mit ihr durch. »Und natürlich hat man sich in England die Mäuler darüber zerrissen, dass mein Mann nur ein »Schaf-Baron« ist, ohne echten Adelstitel. Doch wie man so sagt: Es ist schön, wenn man ein Rassepferd sein Eigen nennt. Aber auf den Papieren reitet man nicht.«
James musste so herzhaft lachen, dass er fast vom Bock gefallen wäre. »Sagen Sie den Satz nie in Gesellschaft, Miss Gwyn! Sie wären bloßgestellt bis in alle Ewigkeit! Aber so langsam begreife ich, dass es in England ein bisschen schwierig war, einen Gentleman für Sie zu finden.«
»Es gab reichlich Bewerber!«, log Gwyneira beleidigt. »Und Mr. Lucas hat sich noch nie beklagt.«
»Dann wäre er auch dumm und blind!«, brach es aus James heraus, doch bevor er seine Bemerkung weiter ausführen konnte, erkannte Gwyn eine Ansiedlung in einer Ebene unter dem Bergkamm, über den sie gerade fuhren.
»Ist das Haldon?«, fragte sie.
James nickte.
Haldon glich ziemlich exakt den Pionierstädten, wie sie in Gwyns Groschenheftchen beschrieben wurden: Ein Kramladen, ein Barbier, eine Schmiede, ein Hotel und eine Kneipe, die allerdings »Pub« hieß und nicht »Saloon«. Alles befand sich in ein-bis zweistöckigen Holzhäusern, die bunt angestrichen waren.
James hielt den Wagen vor dem Laden der Candlers.
»Machen Sie in Ruhe Ihre Einkäufe«, sagte er. »Ich lade jetzt erst Holz auf, gehe dann zum Barbier und anschließend auf ein Bier in den Pub. Wir haben also keine Eile. Wenn Sie Lust haben, können Sie mit Mrs. Candler Tee trinken.«
Gwyneira lächelte ihn verschwörerisch an. »Vielleicht verrät sie mir ja noch ein paar Rezepte. Neulich hat Mr. Gerald Yorkshire Pudding verlangt. Wissen Sie, wie man den macht?«
James schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, das kann nicht mal O’Toole. Also, bis bald, Miss Gwyn!«
Er reichte ihr die Hand, um ihr vom Bock zu helfen, und Gwyn fragte sich, warum sie bei der Berührung das gleiche Gefühl durchzuckte, das sie sonst nur empfand, wenn sie sich selbst heimlich streichelte ...
7
Gwyneira überquerte die staubige Dorfstraße, die sich bei Regen sicher in ein Schlammloch verwandelte, und betrat Candlers Gemischtwarenladen. Mrs. Candler sortierte gerade bunte Bonbons in hohe Gläser, schien aber gern bereit, diese Tätigkeit zu unterbrechen. Strahlend begrüßte sie Gwyneira.
»Mrs. Warden, welche Überraschung! Und was für ein Glück! Haben Sie Zeit für eine Tasse Tee? Dorothy kocht gerade welchen. Sie ist hinten mit Mrs. O’Keefe.«
»Mit wem?«, fragte Gwyneira, und ihr Herz machte einen Sprung. »Doch nicht etwa Helen O’Keefe?« Sie konnte es kaum glauben.
Mrs. Candler nickte vergnügt. »Ach ja, Sie kennen sie ja noch als Miss Davenport. Nun, mein Mann und ich durften jedenfalls ihren Zukünftigen von ihrer Ankunft in Kenntnis setzen. Und wie ich hörte, war er schnell wie der Blitz in Christchurch und hat sie gleich mitgebracht. Gehen Sie nur schon
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