Im Land Der Weissen Wolke
Sie schwang sich auf Raven, die draußen gewartet hatte, und pfiff der Hündin. »Kommt, wir versuchen es. Ab zum Hafen!«
Gwyn sah sofort beim Erreichen der Kais, dass sie verloren hatte. Hier lag kein hochseetaugliches Schiff vor Anker, und bis zur Botany Bay waren es mehr als tausend Seemeilen. Trotzdem rief sie einem der im Hafen herumhängenden Fischer eine Frage zu.
»Ist die Reliance schon lange weg?«
Der Mann warf der erhitzten Frau einen kurzen Blick zu. Dann wies er aufs Wasser.
»Da hinten seh’n Sie se noch, Ma’am! Fährt gerade raus. Nach Sydney, heißt es ...«
Gwyneira nickte. Mit brennenden Augen sah sie dem Schiff hinterher. Friday schmiegte sich an sie und winselte, als wüsste sie genau, was vorging. Gwyn streichelte sie und zog den Brief aus der Tasche.
Meine geliebte Gwyn,
ich weiß, du wirst kommen, um mich vor dieser unglückseligen Reise noch einmal zu sehen, aber es ist zu spät. Du wirst mein Bild also weiter im Herzen tragen müssen. Ich jedenfalls habe das deine vor Augen, wenn ich nur an dich denke, und es vergeht kaum eine Stunde, in der ich das nicht tue. Gwyn, in den nächsten Jahren werden ein paar Meilen mehr zwischen uns liegen als zwischen Haldon und Lyttelton, aber für mich macht das keinen Unterschied. Ich habe dir versprochen, zurückzukommen, und ich habe meine Versprechen noch immer gehalten. Also warte auf mich, verlier die Hoffnung nicht. Ich komme wieder, sobald es mir eben sicher erscheint. Wenn du am wenigsten mit mir rechnest, werde ich da sein! Solange hast du Friday, sie wird dich an mich erinnern. Glück und Segen für dich, meine Lady, und versichere auch Fleur meiner Liebe, wenn du von ihr hörst.
Ich liebe dich
James
Gwyneira drückte den Brief an sich und starrte weiter auf das Schiff, das langsam in der Weite der Tasmanischen See verschwand. Er würde zurückkommen – falls er dieses Abenteuer überlebte. Aber sie wusste, dass James die Verbannung als Chance empfand. Er zog die Freiheit in Australien der Langeweile in der Zelle vor.
»Und diesmal hatten wir nicht mal die Chance, mitzugehen«, seufzte Gwyn und streichelte Fridays weiches Fell. »Also komm, reiten wir nach Hause. Das Schiff kriegen wir nicht mehr, und wenn wir noch so schnell schwimmen!«
Die Jahre auf Kiward und O’Keefe Station vergingen im gewohnten Gleichmaß. Nach wie vor mochte Gwyneira die Arbeit auf der Farm, während Helen sie verabscheute. Dabei blieb gerade an Helen immer mehr Landarbeit hängen; sie überstand das alles nur dank George Greenwoods tatkräftiger Hilfe.
Howard O’Keefe kam über den Verlust seines Sohnes nicht hinweg. Dabei hatte er kaum ein freundliches Wort für Ruben gehabt, solange der noch da war, und eigentlich hätte ihm längst klar sein müssen, dass der Junge sich nicht für die Farmarbeit eignete. Dennoch war er der Erbe gewesen, und Howard war fest davon ausgegangen, Ruben würde irgendwann zur Vernunft kommen und den Hof übernehmen. Außerdem hatte er sich jahrelang in dem Umstand gesonnt, dass O’Keefe Station einen Erben hatte – im Gegensatz zu Gerald Wardens prachtvoller Farm. Aber jetzt war Gerald ihm wieder voraus. Sein Enkel Paul ging die Übernahme von Kiward Station mit Elan an, während Howards Erbe seit Jahren verschollen war. Immer wieder bedrängte er Helen, ihm den Aufenthaltsort des Jungen zu verraten. Er war überzeugt, dass sie etwas wusste, denn sie weinte nicht mehr jeden Abend in ihr Kissen, wie im ersten Jahr nach Rubens Flucht, sondern wirkte stolz und zuversichtlich. Helen sagte jedoch nichts, egal wie er ihr zusetzte, und dabei ging er nicht immer zimperlich vor. Besonders wenn er spät nachts aus dem Pub heimkehrte – wo er womöglich Gerald und Paul stolz am Tresen lehnen und mit örtlichen Geschäftsleuten über irgendwelche Belange von Kiward Station verhandeln sah –, brauchte er ein Ventil für seine Wut.
Wenn Helen ihm nur verriete, wo der Knabe sich herumtrieb! Er würde hinreiten und ihn an den Haaren zurückschleifen. Er würde ihn von dieser kleinen Hure herunterreißen, die kurz nach ihm geflohen war, und ihm das Wort Pflicht einprügeln. Howard ballte voller Vorfreude die Fäuste, wenn er nur daran dachte.
Vorläufig sah er allerdings nicht viel Sinn darin, das Erbe für Ruben zu bewahren. Sollte der doch die Farm neu aufbauen, wenn er zurückkam. Geschah ihm recht, wenn er dann erst die Zäune erneuern und die Dächer der Scherschuppen reparieren musste! Howard verlegte sich jetzt erst mal
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