Im Land Der Weissen Wolke
Hungertuch nagte – und hatte da kaum Zweifel. Nur wenige Goldsucher kamen zu Reichtum, und Ruben war nun wirklich nicht der Geschickteste. Gespannt riss er den letzten Brief auf.
Liebe Mutter!
Ich habe die große Freude, dir die Geburt deiner ersten Enkelin anzuzeigen. Die kleine Elaine Florence erblickte am zwölften Oktober das Licht der Welt. Es war eine leichte Geburt, und Fleurette ist wohlauf. Das Baby ist so klein und zierlich, dass ich zunächst kaum glauben konnte, dass ein so winziges Wesen gesund und lebensfähig ist. Die Hebamme versicherte uns jedoch, alles sei völlig in Ordnung, und nach der Lautstärke, die Elaine beim Schreien entwickelt, darf ich wohl annehmen, dass sie sowohl in Bezug auf ihre zierliche Gestalt als auch auf ihre Durchsetzungskraft meiner geliebten Frau gleichkommen wird. Der kleine Stephen ist ganz bezaubert von seiner Schwester und will sie pausenlos in den Schlaf wiegen. Fleurette hat Angst, er könnte dabei die Wiege umwerfen, doch Elaine scheint den Wirbel zu mögen und kräht ganz vergnügt, wenn er es wilder und wilder treibt.
Auch sonst ist von uns und unserem Unternehmen nur Positives zu berichten. O’Kays Warehouse floriert, auch und gerade die Damenmodenabteilung. Fleurette hatte Recht, als sie das damals anregte. Queenstown wird immer mehr zur Stadt, und die weibliche Bevölkerung nimmt stetig zu.
Meine Tätigkeit als Friedensrichter füllt mich weiterhin aus. Demnächst wird auch die Stelle eines Police Officers geschaffen – der Ort mausert sich in jeder Beziehung.
Das Einzige, was zu unserem Glück fehlt, ist der Kontakt zu dir und zu Fleurettes Familie. Vielleicht ist ja die Geburt unseres zweiten Kindes ein guter Anlass, Vater endlich einzuweihen. Wenn er von unserem erfolgreichen Leben in Queenstown hört, muss er einsehen, dass ich damals richtig gehandelt habe, O’Keefe Station zu verlassen. Das Warenhaus bringt längst viel mehr Gewinn ein, als ich mit der Farm je hätte erwirtschaften können. Ich verstehe, dass Vater an seiner Scholle hängt, aber er wird akzeptieren, dass ich ein anderes Leben bevorzuge. Fleurette würde euch außerdem gern einmal besuchen. Ihrer Ansicht nach ist Gracie hoffnungslos unterbeschäftigt, seit sie nur noch Kinder und keine Schafe mehr hütet.
Es grüßen dich und vielleicht auch Vater
dein dich liebender Sohn Ruben, deine Schwiegertochter
Fleurette und die Kinder
Howard schnaubte vor Wut. Ein Warenhaus! Ruben hatte sich also kein Beispiel an ihm genommen, sondern – wie konnte es anders sein – an seinem vergötterten Onkel George! Womöglich hatte der ihm auch das Startkapital dafür zur Verfügung gestellt – alles klammheimlich, jeder hatte etwas gewusst, nur er nicht! Und die Wardens lachten sicher über ihn! Die konnten zufrieden sein mit dem Schwiegersohn in Queenstown, der zufällig O’Keefe hieß. Sie hatten ja ihren Erben!
Howard stieß die Briefe vom Tisch und sprang auf. Heute Nacht würde er Helen zeigen, was er von ihrem »liebenden Sohn« und seinem »florierenden Unternehmen« hielt! Aber erst in den Pub! Erst mal schauen, ob er ein paar ordentliche Schafscherer fand – und einen guten Tropfen! Und falls dieser Warden da herumhing ...
Howard griff nach seinem Gewehr, das neben der Tür hing. Der sollte was erleben! Die alle sollten was erleben!
Gerald und Paul Warden saßen an einem Ecktisch im Pub von Haldon, in Verhandlungen mit drei jungen Männern vertieft, die sich soeben als Schafscherer beworben hatten. Zwei kamen wohl ernstlich in Frage, einer hatte sogar schon bei einer Schererkolonne gearbeitet. Warum er dort nicht mehr erwünscht war, wurde schnell klar: Der Mann schüttete den Whiskey noch schneller herunter als Gerald. In der augenblicklichen Notlage war er trotzdem Gold wert; man würde ihn nur sorgfältig beaufsichtigen müssen. Der zweite Mann hatte auf verschiedenen Farmen als Viehhüter gearbeitet und dabei auch das Scheren gelernt. Sicher war er nicht schnell, aber dennoch von Nutzen. Was den dritten Mann anging, war Paul sich nicht sicher. Er redete viel, doch mit Beweisen für seine Kenntnisse konnte er nicht aufwarten. Paul beschloss, den beiden ersten einen festen Vertrag anzubieten und den dritten auf Probe mitzunehmen. Die zwei Auserwählten schlugen sofort ein, als er diesen Vorschlag machte. Der dritte Mann jedoch blickte interessiert zur Theke.
Howard O’Keefe gab dort gerade bekannt, dass er Schafscherer suchte. Paul zuckte die Achseln. Schön, wenn der Kerl
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