Im Land Der Weissen Wolke
müssen«, sagte sie kühl. »Es ist schließlich auch ziemlich unkonventionell, einer Brautwerbung nach Neuseeland zu folgen. Zumal, wenn man den künftigen Gatten nicht einmal kennt.«
»Touché!« Lucas lächelte, wurde dann aber ernst. »Ich muss auch zugeben, dass ich das Vorgehen meines Vaters zunächst nicht ganz billigen konnte. Allerdings ist es hier wirklich sehr schwierig, eine angemessene Verbindung zu arrangieren. Verstehen Sie mich richtig, Neuseeland wurde nicht von Gaunern besiedelt wie Australien, sondern von durchaus ehrbaren Menschen. Aber die meisten Siedler ... nun, es fehlt ihnen einfach an Klasse, an Bildung, Kultur. Insofern schätze ich mich nun mehr als glücklich, dass ich dieser unkonventionellen Brautwerbung zugestimmt habe, die mir eine solch entzückend unkonventionelle Braut zugeführt hat! Darf ich hoffen, dass auch ich Ihren Ansprüchen genüge, Gwyneira?«
Gwyn nickte, auch wenn sie sich zum Lächeln zwingen musste. »Ich bin angenehm überrascht, hier einen solch perfekten Gentleman wie Sie vorzufinden«, sagte sie. »Ich hätte auch in England keinen kultivierteren und gebildeteren Gatten finden können.«
Das war zweifellos richtig. In den Kreisen des Waliser Landadels, in denen Gwyneira sich bewegt hatte, verfügte man zwar über eine gewisse Grundbildung, doch in den Salons war doch häufiger von Pferderennen als von Bach-Kantaten die Rede.
»Natürlich sollten wir einander noch näher kennen lernen, bevor wir einen Hochzeitstermin festsetzen«, meinte Lucas. »Alles andere wäre nicht schicklich, das habe ich Vater auch schon gesagt. Der hätte die Feier nämlich am liebsten schon übermorgen anberaumt.«
Gwyneira fand zwar, dass der Worte nun genug gewechselt waren, doch sie stimmte natürlich zu und zeigte sich anschließend entzückt von der Einladung, Lucas heute Nachmittag in seinem Atelier zu besuchen.
»Ich bin natürlich nur ein unbedeutender Maler, hoffe aber, mich noch entwickeln zu können«, erläuterte er ihr, während sie im Schritt eine einladende Galoppstrecke entlangritten. »Zurzeit arbeite ich an einem Porträt meiner Mutter. Es soll einen Platz im Salon finden. Leider muss ich nach Daguerreotypien arbeiten, denn ich kann mich kaum an meine Mutter erinnern. Sie starb, als ich noch klein war. Doch beim Arbeiten stellen sich mehr und mehr Erinnerungen ein, und ich habe das Gefühl, als käme ich Mutter dabei näher. Es ist eine höchst interessante Erfahrung. Ich würde auch Sie gern einmal malen, Gwyneira!«
Gwyneira stimmte halbherzig zu. Ihr Vater hatte vor der Abreise ein Porträt von ihr anfertigen lassen, und sie hatte sich beim Modellsitzen zu Tode gelangweilt.
»Vor allem brenne ich darauf, Ihre Meinung zu meiner Arbeit zu hören. Sicher haben Sie in England viele Galerien besucht und sind über die neueren Entwicklungen weit besser informiert als wir hier am Ende der Welt!«
Gwyneira hoffte nur, dass ihr dazu noch ein paar beeindruckende Worte einfallen würden. Eigentlich hatte sie ihren dahin gehenden Vorrat zwar gestern schon erschöpft, aber vielleicht brachten die Bilder sie ja auf neue Ideen. Tatsächlich hatte sie noch nie eine Galerie von innen gesehen, und die neueren Entwicklungen der Kunst waren ihr völlig gleichgültig. Ihre Vorfahren – und auch die ihrer Nachbarn und Freunde – hatten im Laufe der Generationen ausreichend Gemälde angehäuft, um ihre Wände damit zu schmücken. Die Bilder zeigten hauptsächlich Ahnen und Pferde, und ihre Qualität beurteilte man eigentlich nur anhand des Kriteriums »Ähnlichkeit«. Begriffe wie »Lichteinfall« und »Perspektive«, über die Lucas endlos schwadronieren konnte, hörte Gwyneira zum ersten Mal.
Dafür bezauberten sie jedoch die Landschaften, durch die sie ritten. Am Morgen war es neblig gewesen; jetzt aber kam die Sonne durch, und die Nebel enthüllten Kiward Station, als mache die Natur Gwyneira damit ein besonderes Geschenk. Lucas führte sie natürlich nicht weit hinauf in die Ausläufer des Gebirges, wo die Schafe weitgehend frei weideten, doch auch das Gelände in unmittelbarer Nähe der Farm war wunderschön. Der See spiegelte die Wolkenformationen am Himmel, und die Felsen auf den Weiden sahen aus, als hätten sie soeben den Grasteppich durchstoßen wie gewaltige Zähne oder wie eine Armee von Riesen, die jeden Moment lebendig würden.
»Gibt es da nicht eine Geschichte, in welcher der Held Steine sät, und dann erwachsen daraus Soldaten für sein Heer?«, fragte
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