Im Land des Eukalyptusbaums Roman
protestierte Keegan. Heath warf ihr lediglich einen mißbilligenden Blick zu.
Nola spürte den enormen Druck, unter dem die Kinder standen. Sie vermittelten ihr das Gefühl, ein unwillkommener Eindringling zu sein. Wie gern hätte sie die Kinder getröstet, aber sie hielt sich zurück.
Schmollend blickte sich Heath in der Küche um. Nola fiel auf, wie ähnlich er Galen war. Keiner von beiden duldete irgendeine Form von Schwäche, weder bei sich noch bei anderen.
»Wenn du deinen Vater suchst, der ist vor einer Weile weggegangen«, erklärte sie. »Wohin, hat er mir nicht gesagt.« Heath spähte zu seinem Bruder. Sehr leisemurmelte er: »Ich gehe zum Stall ’rüber und sehe nach, ob ich ihn dort finde.«
Keegan ging in Shannons Zimmer, um seine Schwester zu wecken. Kurz darauf kam er wieder und hielt das verschlafene Mädchen an der Hand.
»Wenn du mit Heath gehen willst, gebe ich Shannon das Frühstück und ziehe sie an«, schlug Nola vor. Sie spürte deutlich, wie gern er wegwollte, doch zugleich war er unschlüssig. Gewiß übernahm sonst er die Verantwortung für die Kleine, die sich an ihn klammerte. Nichts hätte Nola lieber gesehen, als daß wenigstens er in ihrer Gegenwart lockerer wurde. Sie nahm Shannon an der Hand und legte mit der anderen mehrere Pfannkuchen auf einen Teller.
»Ihr müßt doch beide etwas essen«, mahnte sie Keegan. »Bitte nimm etwas mit zu den Boxen.« Als Keegan noch immer zögerte, setzte sie hinzu: »Euer Vater hat die Pfannkuchen gebacken. Bestimmt wäre es ihm gar nicht recht, wenn wir sie wegschmeißen müßten.«
Schließlich nahm er das Essen und ging, sichtlich hin- und hergerissen zwischen seinen Pflichten Shannon gegenüber und dem Bedürfnis, Vater und Bruder zu folgen. Ein paar Minuten später kam er mit dem leeren Teller wieder zurück und erklärte, er wolle mit den anderen beiden ausreiten, um nach versprengten Rindern zu suchen. Nola hatte nicht wirklich erwartet, daß Keegan gleich am ersten Tag zur Schule kommen würde; ein wenig enttäuscht war sie trotzdem.
Bei der Suche nach Shannons Kleidung stellte Nola fest, daß sie fast nur abgetragene Sachen ihrer Brüder besaß. Ganz unten in der Kiste, in eine Decke gehüllt, entdeckte sie mehrere Kleidchen, die viel zu klein waren.Nola untersuchte sie und stellte fest, daß sie liebevoll bestickt und gepflegt worden waren. Der Größe nach zu urteilen, hatten die Kinder ihre Mutter vor mindestens drei Jahren verloren. Nola schnitt ein Schmuckband von einem der Kleidchen und wand es Shannon ins Haar. Dieses kleine, schlichte Zeichen von Weiblichkeit ließ die Kleine entzückt aufjauchzen.
Als sie die Hütte verließen, war draußen alles ruhig. Es war merkwürdig, keinen Straßenlärm und kein Pferdegetrappel zu hören, aber Nola empand die Ruhe als sehr angenehm. Desto besser konnte sie sich der Natur widmen – den Vögeln, der Sonne, der warmen Brise und den Bäumen. Eine Weile stand sie da und nahm die Stille in sich auf. Die Luft war soviel sauberer nach dem Gestank der Londoner Straßen, die von Kehricht und Pferdemist überquollen. Den Trubel des Stadtlebens würde sie hier bestimmt nicht vermissen. Aber davon mußte sie ihre Gastgeber noch überzeugen.
»Es sieht ganz danach aus, als müßtest du mein Reiseführer werden, Shannon«, schlug sie lachend vor.
Das Mädchen sah sie fragend an.
»Ein Reiseführer ist jemand, der dich herumführt und dir erklärt, wo sich alles befindet.«
»Das kann ich bestimmt«, nickte Shannon selbstbewußt. »Was wollen Sie als erstes sehen? Bestimmt das Schulhaus!«
»Das wäre ein guter Anfang.«
»Danach zeige ich Ihnen unsere Hühner und die Kuh.«
Shannons Lächeln war entwaffnend, fand Nola. Damit konnte sie selbst das härteste Herz zum Schmelzenbringen – vielleicht sogar das steinerne Herz von Langford Reinhart.
Als sie am Haupthaus vorübergingen, warf Nola einen Blick nach oben. Mehrere Fenster gingen vom Obergeschoß auf das Anwesen hinaus. Ihr war, als hätte sie hinter einer Gardine eine Gestalt wahrgenommen. Sie wandte sich ab, aber das ungute Gefühl, beobachtet zu werden, blieb.
Ihre Seekiste fand Nola im Eingangsbereich der Schule wieder, die ganz aus Ziegeln errichtet war. Nach der Hitze in der Holzhütte war es hier drinnen angenehm erfrischend. Fünf kleine Pulte und Stühle standen ineinandergeschoben an einer Wand, im vorderen Teil des Raumes befanden sich ein Schreibtisch und ein Stuhl. Links vom Kamin war eine Tafel angebracht, zur Rechten
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