Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
Anchesenamun zu mir und trat mit ihr auf den Balkon hinaus.
«Ich weiß, dass jetzt tausend Gedanken auf dich einstürmen», flüsterte ich und ergriff ihr Hände.
«So schrecklich der Tod Tutanchamuns sein mag, aber ich denke jetzt vor allem an dich, an das Andenken deiner Eltern und an das deines Gemahls. Wenn wir nichts unternehmen, wird Haremhab nach Waset kommen und der nächste Pharao sein. Du wirst seine Große königliche Gemahlin werden, und er wird alles, was von deinem Vater und deiner Mutter übrig geblieben ist, vor deinen Augen zerstören. Das weißt du!»
Sie nickte: «Und was willst du tun?»
«Ich will versuchen, so lange wie möglich den Tod Tutanchamuns geheim zu halten, und werde Sorge dafür tragen, dass Haremhab vorerst nicht nach Waset kommt. Ich werde mich zum Herrscher über die Beiden Länder ernennen lassen und dich zur Großen königlichen Gemahlin erheben. Dann haben wir erst einmal Zeit, Vorkehrungen zu treffen, damit das Andenken an deine Eltern und an deine Geschwister unangetastet bleibt. Mehr kann ich dir nicht versprechen.» Sie sah mich schweigend an und wusste nicht, was sie sagen sollte.
«Willst du das, Anchesenamun?», fragte ich sie deswegen eindringlich. «Willst du, dass ich anstelle von Haremhab Pharao werde?»
«Ja, ja», flüsterte sie geistesabwesend.
«Was hast du vor?», fragte mich Tutu ungeduldig, nachdem wir wieder zurückgekehrt waren.
«Bitte hab jetzt einfach Geduld. Mahu und Maja werden hoffentlich bald hier sein, und dann wird sich alles zeigen.»
Nachdem beide eine Weile tief erschüttert neben dem Bett Pharaos gestanden hatten, bat ich auch sie darum, mit mir auf den Balkon zu kommen. So gut, wie es die knappe Zeit zuließ, offenbarte ich auch ihnen meine Gedanken.
«Es ist nicht Eitelkeit, die mich treibt. Es ist nur die Sorge um Echnaton, Nofretete und auch Tutanchamun. Doch eines solltet ihr beide bedenken: Es waren Echnaton und zuletzt auch Tutanchamun, die euch beide zu mächtigen Männern gemacht haben. Haremhab wird sich auch daran erinnern.»
«Fürchtest du nicht seine Rache?», fragte Maja besorgt.
«Solange ich lebe, wird er mir nichts tun. Er ist ein gläubiger Diener der Maat. Er wird meine Herrschaft als von Maat gewollt hinnehmen, zumal er weiß, dass er nicht allzu lange warten muss, bis er selbst den Thron Ägyptens besteigen kann. Und nach meinem Tod wird er sich ohnehin an mir rächen, ob ich Pharao gewesen bin oder nicht.»
«Und wie willst du ihn von Waset fern halten? Der Tod Pharaos lässt sich nicht allzu lange verschweigen.»
«Lasst das meine Sorge sein. Mir wird noch etwas einfallen. Aber vielleicht ist es ohnehin besser, wenn ihr nicht zu viel wisst.»
Beide sahen schweigend in die Nacht hinaus.
«Ihr habt nicht viel Zeit, nachzudenken. Ich erwarte jetzt eine Antwort von euch beiden. Jetzt und an dieser Stelle.»
Mahu sah mir lange schweigend in die Augen. Dann verneigte er sich und sagte: «Dein Diener!»
Auch Maja verneigte sich und sagte: «Dein Diener!»
Wir gingen zurück in das Schlafgemach Pharaos.
«Ich wurde soeben zum Nachfolger Pharaos bestimmt. Der Tod Pharaos wird jedoch noch geheim gehalten. Seine Gemächer verlässt nur, wer von mir hierzu eine gesonderte Erlaubnis hat», sagte ich ruhig, aber doch mit fester Stimme.
«Der Leichnam Pharaos wird noch heute Nacht unbemerkt in das Totental gebracht und dort für die Bestattung vorbereitet.»
«In das Totental?», unterbrach mich Tutu.
«Es mag sein, dass dir nicht alles verständlich ist, was ich jetzt befehle. Aber ich bitte dich, nicht mehr danach zu fragen!»
«Den Tag, an welchem ich bekannt gebe, dass ich Tutanchamun auf dem Thron folge, werde ich zu gegebener Zeit bestimmen. Nun bereitet Pharao vor, dass er in das Tal gebracht werden kann.»
«Keine Priester?», fragte er mich noch einmal.
«Nein, keine Priester. Nicht jetzt.»
Wenig später schickte Mahu einen seiner Offiziere nach Waset. Er hatte den Auftrag, die Balsamierer und ihre Gerätschaften mit zwei Wohnzelten noch in derselben Nacht in das Tal zu bringen. Währenddessen bereiteten Tutu und seine Gehilfen den toten Tutanchamun für dessen letzten Weg vor.
«Wo wollt ihr ihn bestatten lassen?», fragte mich Maja, denner wusste nur zu gut, dass das Grab Pharaos unmöglich innerhalb von siebzig Tagen fertig zu stellen war.
«Es gibt im Tal noch ein anderes Grab. Es wurde vor langer Zeit von Thutmosis begonnen, aber nicht fertig gestellt. Es verfügt über nur eine
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