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Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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dachte ich kurz darüber nach, wer von denjenigen, die nicht schon wussten, welchen Namen sich Nofretete geben würde, die Besonderheit ihrer Titulatur bemerkt hatten: Anchet war die weibliche Form des Wortes Anch, was Leben heißt. Schon mit ihrem Thronnamen machte meine Tochter also keinen Hehl daraus, ein für alle Mal als Frau über Ägypten zu herrschen.
    Jetzt erhoben sich alle im Saal und machten der Herrscherin und ihrem Gefolge Platz, damit sie zwischen den Wedelträgern den Saal durchschreiten und auf den Treppenabsatz vor dem großen Tor der Audienzhalle treten konnte. Kaum dass sich die Flügel des Tores geöffnet hatten, warfen sich ausnahmslos alle Beamten und Würdenträger, die sich dort versammeln durften, vor ihrer Königin in den Staub. Wieder trat ich vor und verkündete laut den Thronnamen meiner Tochter. Zuletzt wurden auch die Torflügel, die auf den Vorplatz des Palastes führten, geöffnet, und ein drittes Mal rief ich, so laut ich konnte:
    «Die Tochter unseres Vaters Aton ist erschienen, Anchetchepru-Re, die Herrscherin über Ober- und Unterägypten, sie lebe, sei heil und gesund, geliebt von Aton, in heiligen Gestalten Semenchkare, geliebt von Waen-Re.»
    Erst jetzt durften sich alle erheben und jenen Jubel anstimmen, in den unser Volk immer dann ausbrach, wenn nach dem Tode eines Pharaos die Zeit der Isfet zu Ende war und der Regierungsantritt des neuen Herrschers Gewähr dafür bot, dass anstelle der Unordnung wieder Maat, unsere göttliche Ordnung, trat. Es war in diesem Augenblick gleichgültig, ob Nofretete wirklich den Geboten der Maat entsprach, wenn sie sich zur Herrscherin ausrufen ließ. Es kam nur darauf an, dass der Thron Ägyptens für alle sichtbar wieder besetzt war. Allein diesem Umstand als solchem galt in Wirklichkeit die Freude des Volkes und nicht jener Frau, die dort oben stand und den Jubel ihrer Untertanen sichtlich genoss. Denn wer von denen, die da standen und riefen und winkten, konnte sagen, warum er seine neue Herrscherin verehren oder gar lieben sollte, wo doch kaum einer je zuvor ein Wort mit ihr gewechselt hatte und auch in Zukunft gewiss keine Gelegenheit dazu haben würde? Sie konnten nicht wissen, ob sie gütig sein würde oder kaltherzig, gnädig oder streng, ob sie großzügig sein oder die Steuern erhöhen würde. Das Einzige, was sie wussten, war, dass der Thron Ägyptens wieder besetzt war. Das genügte.
     
    Während der tausendfache Chor auf den Mauern des Stadtpalastes das Loblied auf Semenchkare und Meritaton lauter und lauter ertönen ließ, brach endlich der Tag an, und es dauerte nicht mehr lange, bis sich die rot glühende Sonnenscheibe über dem Ostgebirge erhob, damit sie ihre wärmenden Strahlen über das erste weibliche Herrscherpaar in der Geschichte der Beiden Länder ergoss. Nofretete hielt die Augen geschlossen, während sie beide Arme ausbreitete, um den Segen Atons, die Leben spendenden Strahlen, zu empfangen, so wie sie und ihr verstorbener Gemahl tausendfach abgebildet waren unter dem Bild desStrahlenaton. Meritaton dagegen fehlte noch die Gelassenheit einer Erwachsenen, um Augenblicke wie diesen mit geschlossenen Augen zu genießen. Aufgeregt suchend huschten ihre Blicke umher, und ihre Augen versuchten, jeden Eindruck einzufangen, der bedeutend erschien und der es nach ihrer Meinung wert war, eingefangen zu werden. Erst das Ende des festlichen Gesangs ließ Nofretete aus ihrem traumähnlichen Zustand zurückkehren, und für Aper-el, der die Zeremonie leitete, war es gleichzeitig das Zeichen, seine Herrscherin mit einem unauffälligen Kopfnicken zum Aufbruch zu mahnen.
    Unter dem tosenden Lärm von Posaunen und Kriegstrommeln stiegen Nofretete und Meritaton zwischen den Wedelträgern die Treppe hinab, um dort eine offene Prunksänfte zu besteigen. Zwölf schwarz glänzende Nubier, jeder einzelne gewiss so stark wie ein Löwe, hoben die schwere Sänfte auf ihre Schultern und warteten geduldig, bis neben dem königlichen Paar die Wedelträger, vor der Sänfte die Sehenden des Aton und dahinter wir Großen Ägyptens Aufstellung genommen hatten.
    Erst jetzt im anbrechenden Licht des noch jungen Tages bemerkte ich, dass der Stadtpalast einer Festung glich: Sie standen dicht gedrängt auf den Mauern, Pfeil und Bogen griffbereit neben sich, um jederzeit einen Angriff auf ihre Herrscherin niederschlagen zu können. Sie standen sich in zwei Dreierreihen vom Eingang des Palastes bis zum Torturm des Gempa-Aton, wohin uns der Zug jetzt

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