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Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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der Wille Atons ist, dass du einmal über Ägypten herrschen sollst, dann wird es auch so kommen. Niemand kann sich gegen den Willen Atons stellen. Niemand. Ich nicht und auch Nofretete nicht.»
    Ich weiß nicht, ob Tutanchaton mit meiner Antwort zufrieden war, aber er nahm sie hin, und er schien etwas beruhigt. Er löste sich aus meiner Umarmung, zog die Augenbrauen zu einer finsteren Miene zusammen und fragte mich: «Was macht der Zweite Sehende des Aton?»
    «Er verwaltet alle Landgüter des Tempels. Er ist verantwortlich für die Bestellung der Felder und ihre Ernte, für die Einlagerung des Getreides und für ihre gerechte Verteilung unter den Menschen. Er beaufsichtigt auch alle Ställe des Tempels: die Pferdeställe, die Rinderställe und auch die Schaf- und Ziegenherden. Er bestimmt, wie viele Hühner, Gänse und Enten geschlachtet werden und wie viel Bier gebraut wird. Und er ist sogar der Herr über alle Bienenkörbe in Achet-Aton.» Der Gesichtsausdruck des Jungen verriet mir, dass er mit dieser Auskunft noch keineswegs zufrieden war. Deswegen richtete ich mich auf und fragte: «Darf ich mich zu euch setzen?»
    Ipu lächelte verlegen und zeigte auf den Stuhl neben sich, während Tutanchaton mit einer unwiderstehlichen Würde, als wäre er schon der Herrscher Ägyptens, erst nickte und dann nur «Bitte» sagte.
    «Warum glaubst du», fuhr ich nun fort, «legte ich Wert darauf, dass du dieses Amt erhältst, mein Prinz?»
    Er antwortete nur mit einem Achselzucken.
    «All die Aufgaben, die der Zweite Sehende des Aton zu bewältigen hat, habe ich fast ein Leben lang im Auftrag deines Großvaters und deines Vaters überwacht. Ich weiß, wie man die jährliche Nilflut genau berechnet, ich weiß, wie man die Felder ausmisst und wie viel Ertrag ein jedes von ihnen einbringen muss. Und vor allem weiß ich ganz genau, wie man seinen Herrn betrügt!»
    Tutanchaton sah mich erstaunt an.
    «Hast du denn meinen Vater betrogen?»
    «Natürlich nicht! Aber ich weiß, wie es die anderen getan haben. Glaube mir, Tutanchaton, jedes Jahr suchten und fanden die Betrüger einen neuen Weg, ihre Herren zu bestehlen, und jedes Jahr kam ich ihnen aufs Neue auf die Schliche. Aber das war es nicht, was ich dir sagen wollte.»
    Ich trank einen Schluck Melonensaft aus Tutanchatons Becher, wofür ich mir von ihm tadelnde Blicke einhandelte, dann erzählte ich weiter.
    «Die Domäne des Aton ist im Grunde nichts anderes als ein kleines Königreich. Es ist ein Ägypten im Kleinen. Was hier gilt, das gilt in Men-nefer ebenso wie in Waset. Alles, was du als Zweiter Sehender des Aton lernst, befähigt dich, später einmal ganz Ägypten zu lenken und zu leiten. Eine bessere Ausbildung kann ich dir nicht geben. Und was immer in Waset mit Nofretete und Meritaton geschehen mag: Die Ausbildung, die du hier erhältst, wird dich eines Tages so sehr über alle anderen Männer des Landes erheben, dass es sich Ägypten gar nicht wird leisten können, dich zu übergehen.»
    Tutanchaton war sich der Tragweite dessen, was ich ihm gesagt hatte, wohl nicht bewusst, denn seine ganze Sorge galt etwas anderem: «Ist der Zweite Sehende des Aton auch für die Entenjagd im Schilf verantwortlich?»
    Ich überlegte kurz und sagte: «Nein, mein Prinz, das ist er ganz gewiss nicht. Ich werde aber Sorge dafür tragen, dass in den Gegenden, die du bejagst, kein anderer sein Unwesen treibt, damit für dich immer genug Enten da sind!»
    «Versprochen?», fragte er mich ernsthaft besorgt.
    Ich nickte ihm zu: «Versprochen!»
    «Darf ich Euch etwas fragen, Herr?», mischte sich jetzt Ipu ein. Ich nickte ihm zu.
    «War sich Eure Tochter, war sich Ihre Majestät, sie lebe, sei heil und gesund, bewusst, was sie tat, als sie den Prinzen zum Zweiten Sehenden des Aton ernannte?»
    «Ich bin mir nicht sicher, Ipu», antwortete ich und sah ihnnachdenklich an, denn diese Frage hatte ich mir bislang selbst noch nicht gestellt.
    «Ich glaube aber nicht. Sie hat nur das Wort ‹Zweiter› gehört. Sie hätte wohl nicht zugestimmt, hätte ich verlangt, dass Tutanchaton Erster Sehender des Aton werden soll. Zweiter, ja, nur Zweiter, das war es, was sie beruhigte und bedenkenlos zustimmen ließ. Aber jetzt ist ihre Entscheidung unumkehrbar, denn wir werden ihr keinen Grund geben, sie zu ändern. Wie sagte Nafteta zu mir, nachdem sie ihren Befehl ausgesprochen hatte: ‹Das ist jetzt so, wie es ist.› Ich werde mir diesen Satz merken müssen, Ipu. Er klingt zwar entsetzlich einfältig,

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