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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Mayer
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stehen.
    Obwohl meine Wut auf sie längst verflogen war.
    Es war der starre, abweisende Ausdruck in ihrem Gesicht, der mich davon abhielt. Ich wollte nicht zu ihr und ich wollte auch nicht, dass sie die Cordes kennenlernte. Die Cordes, das wusste ich schon nach den ersten Minuten, waren ganz anders als wir. Sie waren herzlich, aufmerksam und weltoffen. Sie nahmen einen auf der Stelle für sich ein. Sie waren wie ein warmes Bad nach einem kalten Regen.
    Natürlich konnte auch meine Mutter freundlich sein. Wenn man sie besser kannte, dann war sie sehr hilfsbereit. Unbekannten Personen begegnete sie jedoch grundsätzlich mit Misstrauen. Wer sich zu schnell auf einen anderen einlässt, wird enttäuscht, sagte sie immer. Man blickt einem Menschen immer nur vor die Stirn.
    Ihre Prinzipien galten vielleicht für die Kohlstraße, dachte ich, aber wenn man in die große, weite Welt reiste, in der man keine Menschenseele kannte, musste man sich umstellen. Dann kam man nicht umhin, anderen zu vertrauen.
    »Das ist wirklich ein mutiger Schritt, den Sie und Ihre Mutter da gewagt haben«, sagte die Pastorin jetzt zu mir.
    »Mit Gottes Hilfe wird schon alles gut gehen«, erwiderte ich.
    Frau Cordes nickte lächelnd. »Das ist wohl wahr.«
    Dann durchlief ein Schaudern den Schiffsrumpf, ein leises Dröhnen, das zu einem rhythmischen Gestampfe wurde. Die Motoren liefen. Die Schlepper hatten die Leinen gekappt und drehten langsam bei. Vor uns lag das offene Meer.
    Nun begann die Reise wirklich.

 
4
     
    Als ich nach unten kam, war meine Mutter wieder damit beschäftigt, unsere Wäsche zu falten und in dem schmalen Schrank zu verstauen. Am Haken an der Tür hing ihr nasser Mantel, unten auf dem Holzboden hatte sich bereits ein großer, feuchter Fleck gebildet. Ich hängte meinen Mantel daneben. Kloppkloppklopp fielen die Tropfen zu Boden. Der Fleck wurde noch größer.
    »Wer waren diese Leute, mit denen du dich oben an Deck unterhalten hast?«, fragte sie beiläufig, während sie zwei vergilbte Unterröcke ganz nach hinten in den Schrank schob. Also waren ihr die Cordes doch nicht entgangen. Ob sie gekränkt war, dass ich sie nicht vorgestellt hatte? Jedenfalls ließ sie sich nichts anmerken.
    »Eine Missionarsfamilie auf dem Weg ins Kapland«, erklärte ich. »Eva, die Tochter, ist genauso alt wie ich.«
    Die Schiffsglocke fiel mir ins Wort, es läutete zum Abendessen. Eigentlich hätten wir unsere Mäntel wieder anziehen müssen, aber sie waren einfach zu nass. Meine Mutter legte sich ein verschlissenes Umschlagtuch um, ich nahm den Schal, den mir Trude zu Weihnachten geschenkt hatte.
    »Die Missionsstation, zu der sie reisen, heißt Wupperthal«, erzählte ich auf dem Weg zum Speisesaal. »Ist das nicht komisch?«
    »Aha.« Meine Mutter verzog keine Miene.
    Der Speisesaal der zweiten Klasse war im Zwischendeck untergebracht, der Matrose hatte ihn uns gezeigt, als er uns zu unserer Kabine gebracht hatte. Das wäre aber gar nicht nötig gewesen. Eine Woge aus Stimmengewirr, Geschirrklappern und Essensdünsten schwappte uns schon auf der Treppe entgegen und wies uns die Richtung.
    Zwei lange Tischreihen mit Bänken zu beiden Seiten zogen sich durch den Speisesaal. An der Decke schaukelten Kronleuchter, Ölgemälde in Goldrahmen verzierten die Wände. Obwohl die Glocke erst vor wenigen Minuten geläutet hatte, war der Raum schon ziemlich voll.
    »Zwei Personen? Rechts hinten an der Wand.« Ein Steward, der neben dem Eingang stand, zeigte auf ein paar freie Plätze. Er kritzelte eine Zahl auf einen Notizblock. »Omelette oder Eintopf?«
    Meine Mutter blickte ihn verschreckt an.
    »Was wünschen Sie?« Der spitze Bleistift des Stewards schwebte über dem Papier, bereit, zuzustoßen.
    »Mutter«, murmelte ich, »du musst bestellen.« Hinter uns drängten sich bereits die nächsten Passagiere. Es war genau wie vorhin im Flur. Durch unsere Tölpelhaftigkeit hielten wir den ganzen Schiffsbetrieb auf.
    »Ja«, sagte meine Mutter und räusperte sich. Als mein Vater noch am Leben gewesen war, waren wir hin und wieder in ein Gasthaus gegangen, um Waffeln zu essen und Kaffee zu trinken. Seit seinem Tod war an so etwas nicht mehr zu denken.
    »Omelette oder Eintopf?«, fragte der Steward noch einmal.
    »Den Eintopf?«, schlug ich vor.
    Meine Mutter zuckte mit den Schultern.
    »Zweimal Eintopf«, teilte ich dem Steward mit. Dann nahm ich meine Mutter an der Hand und zog sie durch den Saal zu den Plätzen, die er uns angewiesen hatte. Ausgerechnet

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