Im Land des Regengottes
in diesem Moment begann eine kleine Kapelle zu spielen, die sich auf einem Podest am Ende des Raumes aufgebaut hatte. »Hohohoho«, lachte die Trompete. »Hehehe.«
Meine Mutter und ich setzten uns einander gegenüber, in größtmöglichem Abstand zu den übrigen Passagieren.
»Bitte aufrücken!«, rief der Steward von der Tür herüber.
Erschrocken rutschten wir zu den anderen Gästen hinüber.
»Guten Abend, die Damen.« Plötzlich standen die Cordes neben uns. Hinter meiner Mutter der Pastor und seine Frau, zu meiner Rechten und Linken bauten sich Eva und ihre Brüder auf. »Nun lernen wir endlich Ihre Mutter kennen«, sagte Pastor Cordes so erfreut, als habe er schon seit Jahren auf diese Gelegenheit gewartet.
Meine Mutter fuhr erschrocken hoch. Wie ein Schulmädchen stand sie leicht vornübergebeugt zwischen dem großen Pastorenehepaar. Ich erhob mich ebenfalls. Der Pastor reichte ihr seine Hand, die sie zaghaft ergriff und sofort wieder losließ.
»Wenn Sie erlauben, setzen wir uns zu Ihnen«, sagte Frau Cordes höflich. Dabei waren ihnen die Plätze neben uns ja vom Steward zugewiesen worden.
»Sicher.« Meine Mutter nickte hastig.
Der Steward brachte das Essen. Eintopf für mich und meine Mutter, Omelettes für die Cordes. Der Pastor sprach den Segen.
»Amen«, flüsterte meine Mutter, als er fertig war.
»Guten Appetit«, sagte Frau Cordes.
»Eine Frage hätte ich noch«, rief meine Mutter. Ihre Stimme klang auf einmal so angsterfüllt, dass alle sieben Cordes ihr Besteck wieder sinken ließen und sie irritiert ansahen. »Das Essen hier …«, sie schluckte aufgeregt, »… ist das umsonst oder muss man es extra bezahlen?«
Ich spürte, wie mir das Blut in den Kopf schoss. Wie ungeschickt und provinziell sich meine Mutter aufführte! Evas Brüder würden sich über uns totlachen, sobald sie wieder unter sich wären, die Mundwinkel der Zwillinge begannen jetzt schon verdächtig zu zucken.
»Darüber haben wir uns auch schon Gedanken gemacht«, sagte Frau Cordes freundlich. »Aber machen Sie sich keine Sorgen. Es ist alles bereits mit dem Schiffsbillet abgegolten.«
Meine Mutter nickte hastig, dann senkte sie ihren Kopf und begann zu essen, wie ein armer Sünder, der eine Strafpredigt empfangen hat. Frau Cordes’ Augen wanderten von ihr zu mir. Wie seltsam sie mich ansah, vorwurfsvoll, fast traurig. Ich spürte, wie ich unter ihrem Blick noch röter wurde. Aber auf einmal schämte ich mich nicht mehr für meine Mutter, sondern für mich selbst.
Ich stand in der Schiffsküche und putzte Fische, einen Berg von Heringen. Neben mir saß Frau Künstner und klopfte mit ihrem Stock auf den Boden. »Schneller«, krächzte sie. »Bis zum Abend müssen wir fünftausend Menschen speisen.« Der Fischgeruch war so widerlich, er durchdrang die ganze Küche und ließ mich würgen.
»Allein kann ich es nicht schaffen«, jammerte ich. »Kann Rosa mir nicht helfen?«
»Gib dir doch ein bisschen Mühe, Jette«, hörte ich die Stimme meiner Mutter. »Frau Künstner ist immer so gut zu uns.« Sie saß neben mir, hinter einem Haufen Näharbeiten, der genauso hoch war wie mein Fischberg.
»Wie die Mutter, so die Tochter«, sagte Frau Künstner missbilligend.
Dann wachte ich auf. Ich hatte den abscheulichen Fischgeruch immer noch in der Nase. Irgendwo tief unter mir klopfte der Schiffsmotor wie Frau Künstners Stock in meinem Traum. Im Halbdunkel der Kabine hob ich meine Finger ans Gesicht und schnupperte daran. Ich roch nichts, natürlich nicht.
Mir war trotzdem übel. Vorsichtig richtete ich mich auf. Wie spät mochte es sein? Durch das runde Bullauge, das direkt unterhalb meiner Koje angebracht war, schwappte graues Zwielicht. Ich schob meine Füße aus dem Bett und hielt inne, als eine Übelkeitswelle anrollte und mich überschwemmte. Mein Magen schwankte auf und ab wie ein Schiff in Seenot. Ich ließ mich zurück auf meine Matratze fallen und schloss die Augen. Für einen Moment ebbte die Übelkeit ab. Doch dann kehrte sie umso stärker wieder zurück. Ich drehte mein Gesicht zur Seite. Es geht gleich vorbei, dachte ich und setzte mich erneut auf.
»Mutter?«
Ein leises Stöhnen.
»Bist du wach?«
Keine Antwort.
»Mutter?«
In der Koje unter mir rumpelte es. Plötzlich stand meine Mutter schwankend im Raum. Sie war totenblass und hielt eine Hand vor den Mund gepresst, als habe sie etwas Schreckliches gesehen.
» Mmmmuahhm « , machte sie. » Kmrammmp. «
Dann rannte sie aus der Kabine.
Ich
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