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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Mayer
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sogar in den Stall. Dort stand Petrus und striegelte einen der Ochsen. Er drehte sich nicht zu mir um, obwohl er mich gehört haben musste. So ein Rüpel! Und wie er wieder angezogen war! Er trug ein viel zu weites, gestreiftes Hemd, das ihm halb aus der Hose hing, und einen alten Schlapphut auf dem Kopf. Die Vogelscheuchen in Elberfeld waren besser angezogen als er.
    »Hast du Fräulein Hülshoff gesehen?«, fragte ich.
    Keine Reaktion. Er wandte nicht einmal den Kopf in meine Richtung.
    »Hast du mich nicht gehört?«, fuhr ich ihn an. »Du verstehst doch Deutsch, oder etwa nicht? Kannst du mich nicht anschauen, wenn ich mit dir spreche?«
    Er drehte sich mit geradezu aufreizender Langsamkeit zu mir um und starrte mir ins Gesicht. »Ich nix sehen Fraulein.«
    Hinter dem Ochsenstall standen die Pontoks der Angestellten, sieben kleine bienenkorbförmige Lehmhütten. In einer der Rundhütten war Fräulein Hülshoff untergebracht, das wusste ich von Susanna. Ich hatte Fräulein Hülshoff aber noch nie in ihrer Unterkunft besucht, sie hielt sich immer im Freien auf, weil es in der Hütte so unerträglich heiß war.
    Ich spähte durch die Öffnung nach drinnen. Die ersten drei Pontoks waren leer, erst in der vierten Hütte fand ich Fräulein Hülshoff. Sie hockte auf einer niedrigen Pritsche, die mit einem Strohsack bedeckt war. Neben ihr stand eine Truhe, die offensichtlich als Tisch und Schrank zugleich diente. Ansonsten gab es kein Mobiliar. Die Rundhütte war kleiner als unsere Kabine auf der Gertrud Woermann und sehr viel dunkler, weil der Raum kein Fenster hatte. Nur durch die Türöffnung fiel etwas Tageslicht.
    »Was gibt es denn, Henrietta?« Ihre Stimme klang ungewohnt schroff.
    »Ich … wollte nur … ich habe Sie gesucht.«
    »Nun haben Sie mich gefunden.«
    »Ja. Entschuldigung. Ich wollte Sie nicht stören.«
    »Sie stören ja auch nicht.« Jetzt war ihre Stimme wieder ruhig und freundlich. »Aber es ist sehr eng hier.«
    »Ja. Vielleicht gehen wir besser nach draußen. Wir könnten uns in den Hof setzen.«
    »Jetzt nicht, Henrietta. Ich muss meine Sachen packen.«
    »Sie wollen packen? Aber sind Sie … ich meine, hat Freudenreich Ihnen eine Stellung besorgt?«
    Sie schüttelte traurig den Kopf.
    »Aber warum wollen Sie denn dann …?« Mir kam ein schrecklicher Gedanke. »Schickt er sie etwa weg?«
    Fräulein Hülshoff seufzte. »So sieht es wohl aus. Petrus soll mich nach Keetmanshoop bringen.«
    »Und dann? Wo wollen Sie denn hin?«
    Sie versuchte ein Lächeln, das von ihrem Gesicht rutschte. »Ich weiß es nicht, Henrietta.«
    »Warum?«, fragte ich. »Warum macht er so etwas?«
    Sie zögerte einen Moment lang. Dann holte sie tief Luft. Vermutlich wollte sie mich wegschicken, also setzte ich mich schnell neben sie auf die Pritsche.
    »Was ist passiert?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Dein Stiefvater hat sich über mich erkundigt. Es war nicht allzu schwer, ich hatte ihm den Namen der Leute genannt, die mich nach Afrika geholt haben und dann doch nicht haben wollten. Familie von Schneck. Er hat an sie geschrieben und sie nach dem Grund ihrer Absage befragt. Und gestern kam die Antwort.« Ihre Stimme brach. Sie zog ein kleines Taschentuch aus der Rocktasche und tupfte damit über die Augen, während sie versuchte, ihre Fassung wiederzugewinnen.
    »Was haben ihm diese Leute denn mitgeteilt?«
    »Dass ich eine ehrlose Frau bin, ein Luder, ein gefallenes Mädchen.« Fräulein Hülshoff sprach jetzt wieder in einem so gleichmütigen Ton, als ginge es um das Mittagessen. »Das haben sie geschrieben. Wobei ich den genauen Wortlaut natürlich nicht kenne.«
    »Ach, kommen Sie. Warum sollten sie so etwas über Sie verbreiten?«
    »Weil es stimmt. Ich hatte vor einigen Jahren eine Liebschaft mit einem Mann. Meine Familie ahnte nichts davon. Sie müssen wissen, dass ich aus gutem Hamburger Hause stamme. Der Mann dagegen war aus eher einfachen Verhältnissen, sehr klug, aber eben nicht begütert. Meine Eltern hätten die Verbindung niemals gebilligt. Aber ich liebte ihn und wollte ihn heiraten. Und er wollte mich auch.« Sie knetete ihre Finger. »Wir trafen uns heimlich, es war … sehr romantisch. Und dann, eines Tages, war ich … da merkte ich plötzlich … also, mir wurde bewusst, dass ich ein Kind erwartete.«
    »Du liebe Zeit!«, flüsterte ich.
    »Ich war sehr erschrocken. Aber seltsamerweise auch froh. Es war, als ob Gott mir die Entscheidung abgenommen hätte, verstehst du? Nun mussten wir

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