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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Mayer
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Gesichter und fühlte nichts.
    Als der Zustand meiner Mutter immer schlechter geworden war, hatte Freudenreich mich überall suchen lassen.
    »Frau Freudenreich rufen Fraulein«, erklärte Susanna vorwurfsvoll. »Aber ich nix wissen, wo steckt.«
    Sie ließen mich erst zu meiner Mutter, nachdem sie gewaschen worden war. Susanna hatte ihr das schwarze Sonntagskleid angezogen, das meine Mutter auch bei ihrer Hochzeit mit Freudenreich getragen hatte. Ihr Gesicht war sehr bleich, die Lippen schimmerten bläulich, die schmalen Hände, die Susanna um ein Kreuz gefaltet hatte, waren weiß wie Kerzenwachs. Eine dicke Fliege summte um sie herum und ließ sich schließlich auf ihrer Wange nieder. Ich scheuchte sie weg. Freudenreich hatte mir erklärt, dass sie an einem Blutsturz gestorben war.
    Meine Mutter sah wirklich so aus, als sei alles Blut aus ihrem Körper gestürzt. Aber wo war es hingeflossen? Hatte sie es ausgespuckt, nicht mehr nur tröpfchenweise in ein Taschentuch wie in den Wochen zuvor, sondern ganze Eimer voll? Zusammen mit ihrem Überdruss, ihrer Verzweiflung, ihrer Enttäuschung über mich? War sie deshalb gestorben?
    Ich saß eine ganze Weile neben ihrem Bett, während die Fliege um mich herum summte. Ich dachte an die letzten Worte, die meine Mutter zu mir gesagt hatte.
    »Wohin gehst du, Jette? Du lässt mich doch nicht allein?«
     
    Nach einiger Zeit hörte ich Freudenreich in den Raum treten. »Gutes Kind«, sagte er mit einer seltsam fremden, sanften Stimme. »Deine Mutter ist jetzt heimgegangen zu unserem Vater im Himmel.«
    Genau das hatte ich mir selbst die ganze Zeit einzureden versucht: Dass die Seele meiner Mutter nun endlich bei Gott war, wo mein Vater sie schon erwartet hatte. Alles war gut. Ich hatte es auch fast geschafft, aber nun, da Freudenreichs brüchige Stimme meine Gedanken aussprach, verflog die tröstliche Vorstellung wie ein Schattenspiel, wenn sich der Himmel bewölkt.
    Er legte seine Hand auf meine Schulter. Ich spürte, wie mein Körper erstarrte. Er zog seine Hand wieder zurück.
    »Nun sind nur noch wir beide übrig«, fuhr er in demselben sanften Tonfall fort. »Wir wollen den Herrgott darum bitten, dass er …«
    Ich stand so abrupt auf, dass er erschrocken zusammenfuhr. »Sie müssen mich entschuldigen«, sagte ich leise, ohne ihn dabei anzusehen. »Aber ich bin sehr erschöpft und müde.«
    »Dann geh schlafen«, antwortete Freudenreich und seine Stimme klang wieder so hart und streng wie immer.
     
    Ich wartete auf den Schmerz, ich sehnte mich richtiggehend nach ihm. Aber ich spürte nichts. Keine Trauer, keine Verzweiflung, kein Heulen und Zähneklappern. Ich wurde auch nicht krank wie die Heldinnen in den Romanen, die ich früher immer gelesen hatte. Mein Körper funktionierte tadellos, ich empfand Hunger und Durst, ich schwitzte, fror und schlief tief, friedlich, traumlos vom Abend bis zum Morgen. Ich war wie ein Felsblock, auf dem die Trauer keine Wurzeln schlagen konnte, weil er viel zu hart war, um irgendetwas hervorzubringen.
    Freudenreich und Susanna sahen mich manchmal so seltsam an. Ich weiß, dass sie darauf warteten, dass ich endlich zusammenbrach und weinte. Es erschreckte sie, dass ich keine Empfindung zeigte.
    Meine Gefühllosigkeit stieß sie ab.
    Mir selbst ging es genauso.
    Vier Tage, nachdem meine Mutter begraben worden war, lief ich weg. Ich brach mitten in der Nacht auf, bevor irgendjemand im Missionshaus aufstand. Ich hatte ein Bündel mit Kleidern dabei, einen Laib Brot, zwei Kalebassen 8 Wasser, getrocknetes Fleisch, eine Handvoll Kaktusfeigen und eine Droewors, 9 die ich aus der Küche gestohlen hatte.
    Bis nach Keetmanshoop waren es zwei oder drei Tagesreisen, jedenfalls hatte Susanna das einmal behauptet. Wenn ich einmal dort war, musste ich einen Treck nach Warmbad finden, der mich mitnahm. Ich hatte allerdings nur ein paar Pfennige, hoffentlich ließ sich der Fuhrunternehmer darauf ein.
    Denn mit meiner weißen Haut würde ich unter all den Negern auffallen wie ein bunter Hund. Freudenreich würde mich im Nu aufspüren und wieder zurück nach Bethanien bringen. Vorausgesetzt, er suchte mich überhaupt. Vielleicht war er ja froh und erleichtert, dass ich weg war. Alles wäre so viel einfacher gewesen, wenn Petrus nicht so stur gewesen wäre. Ich hatte ihn beschworen, mich nach Warmbad zu bringen – oder wenigstens bis nach Keetmanshoop, aber er hatte sich einfach nicht überreden lassen.
    »In Warmbad hat Fräulein Hülshoff jetzt ihren

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