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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Mayer
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hatte sich verheiratet und lebte nun in Warmbad. Wie war es dazu gekommen? Ob Petrus es wusste? Ich brannte darauf, ihn zu fragen, aber bevor ich ihn suchen konnte, fand mich Susanna. Den ganzen Tag wusch ich mit ihr Bettlaken und hängte sie zum Trocknen in die Sonne.
    Erst abends gelang es mir, ihr kurz zu entwischen. Ich fand ihn im Schuppen hinter dem Stall, wo er gerade ein Rad reparierte.
    »Warum hast du mir nichts davon erzählt, dass Fräulein Hülshoff in Sicherheit ist? Ich habe mir solche Sorgen um sie gemacht!«
    »Ich nix weiß«, gab er zurück, ohne von seiner Arbeit aufzublicken. »Ich bring’ Fraulein zu Keetmanshoop, sonst nix. Heute ich bekomm’ Brief von Fraulein.«
    »Danke«, sagte ich. »Vielen Dank.«
    Er sah mich immer noch nicht an. Ich wandte mich zum Gehen.
    »Wann Fraulein schreibt Brief, gibt an Petrus«, sagte er leise.
    Ich nickte. Natürlich würde ich meinen Antwortbrief Petrus geben, anstatt ihn Susanna anzuvertrauen.
    »Alle Brief«, fügte er noch hinzu. »Wann gibt an Susanna, wirft Brief von Fraulein auf Mist.«
    »Wie bitte?« Ich fuhr herum. »Was sagst du da? Susanna wirft meine Briefe auf den Mist?«
    Jetzt hob er den Kopf und sah mich aus seinen glänzenden schwarzen Augen an. Dann griff er in die Tasche seiner gestreiften Anzugjacke, zog einen schmutzigen Umschlag heraus und reichte ihn mir. Ich strich das verschimmelte, aufgeweichte Papier glatt. Die Adresse war verschmiert und kaum noch zu entziffern, aber ich brauchte sie auch nicht zu lesen, weil ich sie auswendig kannte. Es war einer meiner Briefe an Bertram.
     
    Susanna hatte keinen meiner Briefe abgeschickt. Und sämtliche Briefe, die Bertram mir gesandt hatte, hatte sie ebenfalls verschwinden lassen. Das war mir jetzt klar. Sie tat das nicht aus eigenem Antrieb, sondern weil Freudenreich es ihr aufgetragen hatte. Auch das war mir klar. Und es hatte überhaupt keinen Sinn, ihn zur Rede zu stellen. Er hasste mich und ich hasste ihn, daran würde sich auch in hundert Jahren nichts ändern.
    Ich muss weg aus Bethanien. Das war die einzige logische Folgerung, die ich aus dem Geschehenen ziehen konnte. Wenn ich nicht zugrunde gehen wollte, dann musste ich fliehen.
     
    Abends nahm ich mir ein Blatt Papier und listete meine Möglichkeiten auf:
     
    1. Zurück in die Kohlstraße
    2. Nach Stellenbosch aufs Pensionat für Missionarstöchter
    3. Zu Fräulein Hülshoff nach Warmbad
     
    Dann stützte ich meinen Kopf in meine Hände und dachte nach.
    Punkt eins: Wie sollte ich zurück in die Kohlstraße kommen? Ich hatte kein Geld für die Überfahrt. Ich könnte mich als Junge verkleiden und als Matrose bei der Woermann-Linie anheuern. Oder als blinder Passagier nach Deutschland reisen. Aber selbst, wenn ich es schaffte – was würde ich anfangen, wenn ich wieder in Elberfeld wäre? Sollte ich als Dienstmädchen auf dem Kratzkopp arbeiten, bis Bertram mich heiratete? Das alles hätte ich auch sehr viel einfacher haben können.
    Nein, das war keine Lösung.
    Ich strich Punkt eins durch und betrachtete stattdessen Punkt zwei. Das Pensionat in Stellenbosch war mein Traum, wie konnte ich ihn verwirklichen? Indem ich vor Freudenreich auf die Knie fiel, mich für mein ungebührliches Benehmen entschuldigte und ihm die Füße küsste? Und dann? Als Lohn für meine Demut würde er mir auf der Stelle vergeben, mich zum Abendmahl zulassen, mir eine Fahrkarte nach Stellenbosch kaufen und mir obendrein das Schulgeld für das Lehrerinnenseminar bezahlen? Das war ja lachhaft.
    Seufzend strich ich auch Punkt zwei durch.
    Punkt drei: Fräulein Hülshoff war jetzt Frau Richard Welter, eine verheiratete Siedlerfrau. Ich würde Petrus überreden, mich zu ihr nach Warmbad zu bringen, dort würde mich ihr Mann aufnehmen und so lange auf seiner Farm arbeiten lassen, bis ich mir das Geld für das Lehrerinnenseminar in Stellenbosch verdient hätte. Oder bis Bertram nach Südwest kam und wir heiraten konnten.
    Auch diese Lösung enthielt eine Menge Unwägbarkeiten – es war mehr als fraglich, ob Herr Welter mich auf seiner Farm aufnehmen würde. Und ich hatte auch keine Ahnung, ob es Fräulein Hülshoff recht wäre, wenn ich plötzlich bei ihr auftauchte und ihr zur Last fiel.
    Aber es war der einzige Weg. Ich musste ihn gehen.
     
    Damals dachte ich nicht einen Moment lang darüber nach, was meine Flucht für meine Mutter bedeutet hätte. Oder was überhaupt in ihr vorging.
    Heute frage ich mich, ob ihr bewusst war, dass sie sterben würde

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