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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Mayer
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eigenen Hof, bestimmt entlohnt sie dich reichlich dafür, wenn du mir hilfst«, hatte ich ihm versichert.
    Vielleicht durchschaute Petrus, dass das reine Spekulation war. Ich kannte ja Fräulein Hülshoffs neuen Ehemann nicht, vielleicht würde er seine Hunde auf uns hetzen, wenn wir dort ankamen. Auf jeden Fall weigerte sich Petrus, mir zu helfen. »Herr Freudenreich zornig, wenn Petrus nimmt Wagen. Dann Petrus jagt fort.«
    »Ach Unsinn. Er wird dich doch nicht fortjagen, wenn du ihm sagst, dass ich dir befohlen habe, mich nach Keetmanshoop zu bringen.«
    Petrus schüttelte den Kopf.
    »Bitte Petrus«, bat ich leise.
    Wieder ein Kopfschütteln.
    »Ich flehe dich an.«
    Er starrte zu Boden, als hätte er mich nicht gehört. Es war zum Aus-der-Haut-Fahren, er war so stur wie ein alter Esel! Dabei war es doch nun wirklich nicht schwer nachzuvollziehen, dass ich nicht in der Missionsstation bleiben konnte, jetzt, da meine Mutter tot war. »Du bist schuld, wenn mir etwas zustößt«, zischte ich wütend.
    Er sah mich immer noch nicht an. Es war sinnlos. Ohne ein weiteres Wort drehte ich mich um und ließ ihn einfach stehen.
     
    In der Nacht meiner Flucht blühten Eisblumen auf dem Fenster in meiner Kammer. Es war Winter in Afrika, nachts wurde es bitterkalt. Wenn die Luft nicht so trocken gewesen wäre, wären die Erde und die Bäume mit Raureif überzogen gewesen. Frost im südlichen Afrika – wenn mir das früher jemand erzählt hätte, hätte ich ihn ausgelacht.
    Tagsüber wurde es immer noch angenehm warm, mittags brannte die Sonne sogar richtiggehend, aber die Nächte, die ich draußen in der Wüste verbringen musste, machten mir Angst. Ich hatte zwar eine Decke in mein Bündel gepackt, aber ich bezweifelte, dass sie mich ausreichend wärmen würde.
    Ich würde einfach so lange marschieren, wie es irgendwie möglich war, beschloss ich, als ich durch den Hinterausgang schlüpfte und durch den Garten huschte. Je weniger ich schlief, desto schneller würde ich vorankommen und gleichzeitig würde mich die Bewegung warm halten.
    Ich verließ Bethanien, ohne mich noch einmal umzudrehen. Fort mit Schaden, hatte Rosa auf dem Kratzkopp immer gesagt, wenn sie ein Geschirrstück zerbrochen hatte, das schon vorher einen Sprung gehabt hatte, oder wenn ein zerschlissenes Kleidungsstück beim Waschen endgültig auseinandergerissen war.
    Fort mit Schaden, dachte auch ich jetzt. Hoffentlich komme ich nie mehr hierher zurück.
     
    Weil der Vollmond schien, hatte ich keine Mühe, die Landstraße nach Keetmanshoop zu finden. Im kalten Mondlicht hoben sich die Radspuren der Ochsenkarren als schwarze Streifen vom Wüstenboden ab.
    Irgendwann wurde es hell, aber es war nicht wie in Deutschland, wo sich das Schwarz der Nacht in ein dunkles Grau verwandelte, das immer lichter wurde, ohne dass man es richtig mitbekam. In Südwest riss das Dunkel von einer Minute zur anderen auf und die Sonne tauchte alles in ein strahlendes Morgenrot. Die Dunkelheit hatte mich vor neugierigen Blicken verborgen. Jetzt fühlte ich mich auf einmal schutzlos. Ich zog mein Umschlagtuch tiefer ins Gesicht. Wenn mich ein Ochsenkarren überholte, würde ich den Kopf zur Seite drehen, sodass man mich für eine Eingeborene hielt, die zum nächsten Dorf unterwegs war.
    Zurzeit war der Weg jedoch wie ausgestorben. Weit und breit war kein Fahrzeug zu sehen oder zu hören. Es war überhaupt nichts zu hören. Die Zikaden, die im Sommer in allen Büschen und Gräsern lärmten, waren in den kalten Nächten erfroren. Man hörte kein Kindergeschrei, kein Frauengeschwätz, kein Hundegebell. Über mir schwebten lautlos ein paar große Vögel. Geier. Sie beobachteten mich gelangweilt, wohl wissend, dass es noch eine ganze Weile dauern würde, bis ich entkräftet zu Boden sinken würde.
    Während ich einen Fuß vor den anderen setzte, bewegten sich meine Gedanken im Kreis. Ich dachte an meine Mutter, wie sie in ihrer Todesnot nach mir gerufen hatte. Aber ich hatte sie nicht gehört, weil ich in meinem kindischen Zorn auf Freudenreich weggelaufen war.
    Ich hatte sie im Stich gelassen. Nun war sie tot. Die Zeit ließ sich nicht zurückdrehen. Was geschehen war, konnte ich niemals wiedergutmachen.
     
    Um den Erinnerungen zu entkommen, ging ich schneller. Gleichzeitig kletterte die Sonne immer höher. Bald schwitzte ich am ganzen Körper. Ich schob das Umschlagtuch zuerst zurück, schließlich ließ ich es auf meine Schultern fallen. Wenn sich ein Wagen näherte, würde ich ihn

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