Im Land des Roten Ahorns
ihrer Mutter gehört! Und sie dachte nur an das Geld, das es bringen würde. Jaqueline fühlte sich elend, Tränen stiegen ihr in die Augen, aber sie unterdrückte diese Regung. Dieser Schritt war notwendig, da half alles nichts.
Ich werde sie mir zurückholen, sagte sie sich. »Was, glauben Sie, ist die Brosche wert?«
Der Mann drehte das Schmuckstück erneut in den Händen. Die Gier in seinem Gesichtsausdruck ließ Jaqueline angewidert frösteln.
»Kommt ganz darauf an: Wie lange soll ich Ihnen die Summe auslegen? Ein Stück wie dieses könnte ich sehr schnell sehr gut verkaufen.«
»Wäre es möglich, mir das Geld für die Frist eines Jahres zu leihen?«, fragte Jaqueline zögerlich, während sie die eiskalten Hände knetete. »Ich habe eine lange Reise vor mir und werde die Brosche wohl nicht früher auslösen können. Aber ich hänge sehr an dem Stück und möchte es auf jeden Fall zurückkaufen.«
Der Pfandleiher nahm die Lupe aus dem Auge und legte die Brosche wieder zurück. »Wenn es solch eine lange Frist sein soll, kann ich Ihnen nicht mehr als fünfhundert Mark dafür geben. Bedaure.«
Fünfhundert Mark? Hatte er nicht eben gesagt, dass er die Brosche leicht verkaufen könnte? Welches Risiko geht er dann ein?
Jaqueline hatte zwar keine Reichtümer erwartet, aber doch mit der doppelten Summe gerechnet. Fünfhundert Mark würden für eine Schiffspassage mehr als ausreichen, doch wenn sie erst einmal in Kanada war, brauchte sie ebenfalls Geld.
»Geht nicht ein bisschen mehr?«, fragte sie zaghaft.
»Ich würde Ihnen mehr geben, wenn es nur für ein Vierteljahr oder sechs Monate wäre. Aber ein ganzes Jahr ist eine lange Zeit. Es kann viel geschehen, und ich bin auch nur ein Geschäftsmann, der für sein Überleben sorgen muss.«
Jaqueline seufzte. Offenbar wurde die Welt wirklich nur noch vom Geld regiert. Aber was blieb ihr schon übrig? Selbst wenn ich hierbliebe, könnte ich die höhere Summe gewiss nicht in kürzerer Frist zurückzahlen, überlegte sie.
»Also gut, ich nehme die fünfhundert.«
Mit zufriedenem Lächeln trat der Pfandleiher hinter seine Kasse. Ein Bimmeln ertönte, dann reichte er Jaqueline die Summe.
»Bitte geben Sie mir eine Quittung! Wie Sie so richtig bemerkt haben, ist ein Jahr eine lange Zeit. Ich möchte sicherstellen, dass die Brosche noch da ist, wenn ich zurückkomme.«
Der Pfandleiher blickte sie bewundernd an. »Selbstverständlich kriegen Sie eine Quittung und auch eine Pfandnummer.«
Damit wandte er sich dem Apothekerschrank zu, ließ die Brosche in dem Fach mit der Nummer 27 verschwinden und reichte ihr einen Beleg, auf dem er die Nummer notiert hatte.
Eine Stunde später, nachdem sie den Brief für Warwick aufgegeben hatte, machte sich Jaqueline auf den Weg zur Anwaltskanzlei.
Diesmal öffnete ihr der Hausherr persönlich. »Fräulein Halstenbek, gut, dass Sie kommen«, sagte Petersen. »Ich wollte gerade meinen Sekretär mit einer Nachricht zu Ihnen schicken. Mein Makler hat zwei Interessenten für das Haus gefunden.«
Diese Nachricht überrumpelte Jaqueline dermaßen, dass sie erst einmal nichts weiter sagen konnte als: »Das ist ja wunderbar.«
»Treten Sie ein, dann besprechen wir alles Weitere.«
Kaffeeduft stieg Jaqueline in die Nase, aber sie bemerkte ihn nur beiläufig. In ihrem Kopf wirbelten die Gedanken umher.
»Thomas, bring bitte eine Tasse mehr ins Büro!«, rief der Anwalt seinem Gehilfen zu, der in einem der hinteren Räume rumorte. Dann bedeutete er Jaqueline, Platz zu nehmen. »Wie gesagt, es gibt Interessenten. Gleich morgen wollen sie sich das Haus anschauen. Ist das nicht fabelhaft?«
Jaqueline war noch immer sprachlos.
So schnell schon!, dachte sie. Und was wird aus mir und Christoph? Er hat noch keine neue Anstellung, und ich habe noch keine Schiffspassage gebucht. »Ja, das ist es wirklich«, erklärte sie, wobei sie alles andere als begeistert klang.
Petersen betrachtete sie prüfend. »Alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte er nun. Der Enthusiasmus war aus seiner Stimme verschwunden.
»Ja, doch.« Jaqueline zwang sich zu einem Lächeln. »Es überrascht mich nur, dass es so schnell geht.«
»Sie haben Sorge wegen Ihrer Bleibe, nicht wahr?«
Jaqueline nickte.
»Was das angeht, so können wir mit dem neuen Besitzer sicher ein Arrangement treffen. Er könnte Ihnen ein Wohnrecht einräumen, solange Sie noch nichts Neues gefunden haben.«
In einem Zimmer ohne Möbel, dachte Jaqueline bitter. Sicher werden die Gläubiger
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