Im Land des Roten Ahorns
In dem lilafarbenen Kleid wirkte ihre weiße Haut kränklich. Schwäche zeigte sie allerdings nicht. Fast schon wütend stach sie auf einen Stickrahmen ein.
Connor wusste, dass sie nur dann stickte, wenn sie sich über etwas ärgerte. Angeblich beruhigte das ihre Nerven, aber meist endete es damit, dass sie mit der Nadel nach den Dienstmädchen stach oder den Rahmen einfach in die Ecke schleuderte.
»Guten Tag, Marion.«
Seine Verlobte tat, als habe sie ihn nicht bemerkt.
»Marion, ich ...«, setzte Connor erneut an. Noch immer wusste er nicht, wie er ihr beibringen sollte, dass er eine andere liebte.
»Willst du dich entschuldigen?«, fragte sie kühl, die Augen weiterhin auf die Stickarbeit gerichtet.
»Warum sollte ich das tun?«
»Fällt dir kein Grund ein?«, erwiderte sie schnippisch.
Sie konnte ihre Regungen noch nie gut verbergen, dachte Connor, als er ihre wutverzerrte Miene sah. Kalter Hass blitzte in ihren Augen auf.
»Wie konntest du mir das antun!«, fauchte sie.
Connor runzelte überrascht die Stirn. »Was meinst du?«
»Warum bist du nicht bei deiner Hure?«, blaffte Marion. »Da du es heimlich mit ihr treibst, kannst du auch ganz bei ihr bleiben!«
Marions Worte trafen ihn wie Fausthiebe in den Magen.
Woher weiß sie das?, fragte er sich. Hatte sie wirklich jemanden angestellt, der mir nachspioniert? Oder hab ich das Warwick zu verdanken? Nun, es hatte keinen Zweck zu leugnen. Er wollte Marion ohnehin reinen Wein einschenken.
»Tut mir leid, Marion. Ich habe mich in Jaqueline verliebt. Ich wollte das nicht, glaube mir. Aber ich liebe sie. Und das schon seit einer Weile.« Das schlechte Gewissen saß ihm im Nacken. Doch was konnte er schon gegen sein Herz tun? Versteckspiele und Unehrlichkeit lagen ihm nicht.
»Sie ist ein Miststück, das nur auf eine gute Partie aus ist!«, kreischte Marion, am ganzen Leibe zitternd.
»Nein, sie ist auf gar nichts aus. Nur auf Freiheit. Freiheit, die dein neuer Freund Warwick ihr genommen hat und noch immer nehmen will. Ich weiß nicht, wie du es erfahren hast, aber ich tippe darauf, dass er mir nachgeschlichen ist, stimmt's?«
Marion wandte sich abrupt ab.
Das war Connor Antwort genug. »Sieh bloß zu, dass du dich nicht zu sehr mit ihm einlässt, Marion!«, fuhr er ruhig fort. »Er ist ein Schuft.«
Marion holte dramatisch Luft. »Verschwinde von hier! Ich löse die Verlobung auf! Du wirst noch sehen, was du davon hast!«
Obwohl die Sätze Connor wie Maulschellen um die Ohren flogen, fühlte er eine seltsame Erleichterung. Alles hatte er erwartet, nur nicht, dass Marion es ihm so einfach machen würde. »Du willst die Verlobung also lösen?«, fragte er skeptisch.
»Ja, das will ich! Und ich will dich hier nicht mehr sehen. Verschwinde auf der Stelle, sonst lasse ich dich rauswerfen!«
»Wie du willst, Marion.«
Connor verbeugte sich vor ihr, machte kehrt und ging hinaus. Während er den Flur entlangschritt, hörte er plötzlich ein Klirren. Offenbar hatte Marion gerade mit dem Stickrahmen um sich geworfen. Aber das kümmerte ihn ebenso wenig wie ihr hysterisches Weinen.
Mit Verwunderung bemerkte er, wie wenig ihn die Entwicklung der Dinge berührte, und ihm wurde klar, dass er für Marion nie diese brennende Leidenschaft gehegt hatte, die er für Jaqueline selbst dann empfand, wenn er nur an sie dachte.
Nach dem unerfreulichen Gespräch mit Marion machte sich Connor auf den Weg in den Wald. Am liebsten wäre er gleich zu Jaqueline geeilt, aber er fürchtete, dass Warwick in der Nähe sein und ihn auch weiterhin beobachten könnte. Also beschloss er, erst einmal den Hund und ein paar andere Dinge aus der Hütte zu holen.
Das Rauschen und der Duft der Douglasien und Sitkafichten beruhigten sein Gemüt. Als es neben ihm raschelte, entdeckte er im Buschwerk eine Weißwedelhirschkuh, die ihn wachsam beäugte, bevor sie blitzartig das Weite suchte.
Das war es, was er an dem Leben hier draußen schätzte: frei von Zwängen und einfach nur eins mit der Natur zu sein. Eine Empfindung, die Jaqueline - im Gegensatz zu Marion - mit ihm teilte.
Als er sich der Hütte näherte, überkam Connor ein mulmiges Gefühl. Noch wirkte nichts ungewöhnlich, dennoch spürte er, dass etwas nicht stimmte. Er trieb sein Pferd an und schlug den Schoß seiner Jacke zurück, um seine Waffe notfalls schneller zu erreichen. Und tatsächlich, plötzlich stieg ihm Brandgeruch in die Nase. Das wäre nicht beunruhigend gewesen, wenn Jaqueline noch in der Hütte gewohnt
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