Im Land des Roten Ahorns
Da können wir auch einen Wachhund gebrauchen. Aber jetzt müssen wir uns erst einmal um deine Sicherheit kümmern.«
Eine halbe Stunde später erreichten sie St. Thomas. Der Morgen war noch fern. Die rötlich gelbe Scheibe des Mondes hing tief über dem Horizont.
Die schlafende Stadt lag vor ihnen. Nirgendwo brannte Licht. Als die Hunde den Hufschlag vernahmen, bellten sie.
Erleichterung überkam Connor. Jetzt wirst du sie nicht mehr so leicht finden, Warwick, dachte er. Außerdem herrschen hier Gesetz und Ordnung.
»Ich werde dich im besten Hotel der Stadt unterbringen«, erklärte er. »Versprich mir, dass du auf deinem Zimmer bleibst, Jaqueline! Zumindest so lange, bis ich weiß, wo Warwick sich herumtreibt.«
»Und wenn Warwick auch dort wohnt?«
»Das werde ich herausfinden. Wenn ja, kommst du zu mir ins Kontor.« Connor lenkte das Pferd um die nächste Hausecke auf die Hauptstraße. Der Mond spiegelte sich in den Pfützen, und eine streunende Katze nahm vor den Reitern Reißaus. Nur an einem Gebäude waren noch zwei Fenster schwach beleuchtet. Die Aufschrift »Hotel St. Thomas« über dem Eingang blätterte bereits.
Wohlige Wärme schlug ihnen entgegen, als sie eintraten. Rosenduft hing in der Luft. Drei Gaslaternen verbreiteten ein gedämpftes Licht.
Das Gebimmel der Türglocke schreckte den Portier auf, der offenbar eingenickt war. Überrascht blickte er auf und straffte sich, als er die späten Gäste sah. »Guten Morgen, meine Herrschaften!«
Die Zeiger der großen Standuhr neben dem Empfangstresen standen auf kurz vor zwei.
Ein wehmütiges Gefühl machte sich in Jaquelines Brust breit, weil die Uhr der ähnelte, die ihr Vater besessen hatte.
»Mr Monahan, was verschafft mir das Vergnügen?«, fragte der Portier, der den Holzhändler sofort erkannt hatte.
»Ich würde gern wissen, ob in Ihrem Haus ein Mr Warwick abgestiegen ist«, fragte Connor ohne Umschweife.
Der Nachtportier blickte ihn verwundert an.
»Der Herr ist ein Bekannter von mir, und ich möchte sicherstellen, dass er gut in der Stadt angekommen ist«, erklärte Connor rasch, denn er spürte das Misstrauen seines Gegenübers.
Bereitwillig schlug nun der Portier das Gästebuch auf und überflog die Einträge. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Nein, bedaure, ein Mr Warwick ist in den letzten Tagen nicht eingezogen.«
Connor wechselte einen Blick mit Jaqueline, die erleichtert aufatmete. »Schade, ich dachte, er sei meiner Empfehlung gefolgt. Hätten Sie denn ein Zimmer für meine Nichte?«
»Selbstverständlich. Zwei der besten Suiten sind noch frei. Wie lange möchte die Dame denn bleiben?«
»Eine Woche vorerst. Es kann jedoch sein, dass sich ihr Aufenthalt verlängert.«
»Wie Sie wünschen, Mr Monahan. Auf welchen Namen darf ich das Zimmer vergeben?«
Als Connor Jaqueline erneut anblickte, huschte ein schelmisches Lächeln über sein Gesicht. »Auf Miss Emily Monahan«, antwortete er. »Es gab ein kleines Malheur mit der Kutsche, und da um diese Zeit kein Zug mehr fährt, sind wir gezwungen, Sie so früh am Morgen zu behelligen.«
»Kein Problem, Mr Monahan. Wir sind immer für unsere Gäste da.«
Jaqueline lächelte breit. Offenbar ist Connor ein Schlitzohr. Ich sollte mich wohl in Acht nehmen.
Nachdem der Portier ihren Namen ins Gästebuch eingetragen hatte, reichte er ihr einen Schlüssel. »Die Nummer neunzehn ist eine unserer besten Suiten, Miss Monahan. Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt.«
»Nichte?«, flüsterte Jaqueline Connor zu, als sie die Treppe hinter sich gelassen hatten. Ein langer, mit rotem Teppich ausgelegter Korridor lag vor ihnen. Hinter den Türen, die den Gang säumten, ertönte hier und da ein Schnarchen.
»Warum denn nicht?«, gab er feixend zurück. »Mein ältester Bruder ist alt genug, um eine Tochter in deinem Alter zu haben. Du bist doch um die zwanzig, oder?«
»Das nenne ich einen raffinierten Versuch, mein Alter herauszubekommen«, gab Jaqueline zurück. »Aber du hast Recht, ich bin zweiundzwanzig.«
»Na also! Niemand wird Verdacht schöpfen. Sollte Warwick hier aufkreuzen, wird der Portier keine Miss Halstenbek in seinem Buch finden. Das ist alles, was im Moment zählt.«
Vor der Tür mit der Nummer 19 machten sie Halt. Nachdem Jaqueline aufgeschlossen hatte, sagte sie: »Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll, Connor.«
»Das musst du doch nicht, liebste Nichte.« Er zwinkerte vergnügt und zog sie in die Arme. »Vergiss nicht: Ich bin immer für dich da!
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