Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
Bord hat.« Er deutete eine Verbeugung an und öffnete die Tür.
Anne sprang auf, um direkt hinter Wilcox wieder in die Gaststube zu gehen. Jameson lächelte zufrieden, als Wilcox einige Münzen vor ihm auf den Tisch zählte – und gab ihr mit einer Handbewegung die Erlaubnis, sich in ihre Kammer zurückzuziehen. Sie wartete nicht, seine Meinung konnte sich zu schnell ändern – das wollte sie nicht riskieren. Mit ein paar schnellen Schritten ging sie in die Küche, in der schon wieder die Pasteten für den Abend vorbereitet wurden. Anne winkte einen pickligen jungen Mann zu sich. »Füll mir bitte den Zuber in meinem Zimmer. Und lass dir dabei nicht zu viel Zeit!«
Tatsächlich sank sie wenig später in eine kleine Sitzbadewanne, gefüllt mit dampfendem Wasser. Aus einem kleinen Fläschchen gab sie einige Tropfen des Manukaöls dazu, das sie vor ein paar Wochen bei einer der Maori erstanden hatte, die hier in der Stadt Handel trieben. Sie brachten immer Felle, Flachs – und eben auch dieses Öl. Es roch angenehm frisch und sorgte bei kleinen Wunden auch dafür, dass sie schneller verheilten. Anne schloss die Augen, während die aromatischen Dämpfe in dem warmen Wasser aufstiegen. Jetzt konnte sie für kurze Zeit abschalten und sich wieder an eine bessere Zeit in ihrem Leben erinnern …
DORSET, 1828
5.
Renntag. Anne liebte diese Tage. Meist reisten ihre Eltern schon einen Tag vorher an und nahmen an einem Ball teil, während Anne auf sie wartete. Aber heute sollte sie zum ersten Mal daran teilnehmen. Ihre Mutter war über ihren Schatten gesprungen und hatte trotz der knappen Finanzen mit ihr gemeinsam den Stoff für ein neues Kleid ausgewählt, das der Schneider erst vor wenigen Tagen geliefert hatte. Es war von einem warmen Braun, dunkelrote Bänder sorgten dafür, dass es nicht zu trist aussah. Kunstvoll steckte Anne ihre Haare auf, als ihre Mutter hinter sie trat. Sie legte ihr vorsichtig ein goldenes Kettchen um den Hals. Anne sah mit einem kleinen Freudenschrei, dass ein zierlicher Anhänger das Kettchen schmückte: ein kleines Hufeisen mit einem winzigen Smaragd an einem Ende.
»Es soll dir Glück bringen«, lächelte ihre Mutter. »So wie es mir auch seit meiner Zeit als junges Mädchen immer nur Glück gebracht hat. Das Hufeisen hat mich zu deinem Vater geführt, und mit diesem Hufeisen um den Hals habe ich dich zur Welt gebracht. Jetzt wird es allmählich Zeit, dass du es trägst. Mir hat es alle meine Wünsche erfüllt.«
»Oh, Mama, vielen Dank!« Anne umarmte überschwänglich ihre Mutter. »Ich werde es immer in Ehren halten, das verspreche ich dir.«
»Das weiß ich, mein Schatz. Und jetzt komm. Die Kutsche wartet schon!« Damit machte sich die Familie Courtenay auf zum Empfang eines Grafen, der am Vortag des großen Renntages alle Pferdebesitzer eingeladen hatte. Anne wusste, dass ihr Vater besonders große Hoffnungen auf den Auftritt einer kleinen Fuchsstute setzte. Sie war von dem anerkannten Deckhengst der Courtenays, dem allmählich älter werdenden Midas. Wenn sie gut lief, dann sollte es wohl den Preis aller Nachkommen von Midas heben. Die kleine Shadow hingegen, die Anne so gut gefiel, hatte keine Erlaubnis zum Rennen erhalten: Der Zuchtverband weigerte sich immer noch, Fohlen von Sunrise anzuerkennen. Anne seufzte. Gut, dass sie noch den alten Midas hatten …
Damit verdrängte sie weitere Gedanken an Probleme.Mit großen Augen sah sie sich bei dem ersten Ball ihres Lebens um. Die vielen Diener, die für das Wohlergehen der Gäste mit Getränken sorgten. Die unzähligen Kerzen in dem Ballsaal und die Musiker, die eine beschwingte Melodie nach der anderen spielten. Und vor allem natürlich Gregory, der sie immer wieder zum Tanz aufforderte und sie mit unbeschwertem Lächeln quer durch den Saal wirbelte. Hin und wieder erhaschte Anne zwar einen Blick auf ihren Vater, der immer in ernstem Gespräch mit einer Gruppe offiziell aussehender Männer steckte – aber sie war viel zu glücklich, als dass sie auch nur einen einzigen Gedanken oder gar eine Sorge darüber verschwendet hätte. Als Gregory sie dann auch noch auf die Terrasse zog und ihr einen Kuss auf die Lippen drückte, hätte ihr Glück nicht größer sein können.
»Nur noch vier Monate, und wir können unsere Verlobung verkünden«, flüsterte Gregory. »Ich kann es kaum erwarten, dich meinen Freunden endlich als meine Braut vorstellen zu können!«
Anne lachte ihn an. »Und ich erst … siehst du die Gesichter
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