Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
unsere alten Freundinnen aus der Mädchenschule reden.«
Schnell huschte Anne aus dem Salon. Sie streckte ihren Kopf in das Herrenzimmer. »Können Gregory und ich vielleicht in den Stall? Ich wollte ihm …«
Sie kam nicht einmal dazu, ihren Satz zu beenden. Die Männer entließen Gregory mit einer schnellen Handbewegung, und Sekunden später fand Anne sich mit Gregory allein auf dem Weg in den Stall. Endlich ohne Aufsicht, fühlte Anne sich mit einem Mal verlegen. Scheu sah sie Gregory an. Sie waren fast gleich groß, das stellte sie in solchen Momenten immer mit einer gewissen Verblüffung fest.
»Sie haben über uns geredet …«, fing sie an.
Gregory schien nicht im Geringsten überrascht. »Kein Wunder. Ich habe meine Mutter gebeten, endlich einmal über unsere Verbindung zu reden, wenn sie mit deiner Mutter alleine ist. Ich finde, wir sind inzwischen alt genug!«
»Meine Mutter leider nicht«, erklärte Anne. »Sie möchte mir noch ein ganzes Jahr lang die Geheimnisse der Haushaltsführung beibringen. Sie hat Angst, dass mir sonst das Personal auf der Nase herumtanzt. Das glaube ich zwar nicht – aber ein Jahr werden wir uns noch gedulden müssen, fürchte ich. Die beiden Drachen lassen da nicht mit sich reden.«
Gregory nahm ihre Hand und zog sie an seinen Mund. »So darfst du nicht über unsere Mütter reden! Ein Jahr – das schaffen wir doch! Wir sehen uns regelmäßig, und vielleicht kann ich ja öfter zu euch herüberreiten. Meinst du nicht, dass so ein Jahr schneller vorbei ist, als wir es uns im Augenblick vorstellen können? Du musst dir keine Sorgen machen – das Wichtigste ist doch, dass wir ein ganzes Leben gemeinsam vor uns haben!«
»Nein«, antwortete Anne trotzig. »Es klingt wie eine Ewigkeit, und das wird es auch sein. Warum können wir nicht morgen vor den Altar treten. Ich habe mir das so sehr gewünscht …«
Gregory lachte lauthals. »Es fehlt nicht mehr viel, und du stampfst auf den Boden wie ein kleines Kind. Dazu ziehst du ein Gesicht, als hätten unsere Eltern etwas gegen unsere Verbindung. Haben sie aber nicht, sie wollen nur, dass wir ein Jahr später heiraten und ein wenig reifer werden. Du kannst dich also beruhigen.«
In der dämmrigen Stallgasse zog er sie an seine Brust und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Dann legte er ihr zärtlich eine Hand an die Wange und küsste sie vorsichtig auf den Mund. Anne fühlte sich wie im Himmel, als sie seine Lippen auf den ihren spürte …
KORORAREKA, 1831
4.
»Du kannst gehen. Sag Master Jameson, dass ich mit seiner Empfehlung sehr zufrieden bin!« Mit einem satten Gesichtsausdruck klatschte der Kapitän ihr auf den Hintern, als ob er sich bei einem braven Kutschpferd bedanken würde. »Wenn wir hier wieder vor Anker gehen, werde ich nach dir fragen.«
Anne raffte ihre Röcke und kletterte, so schnell es ging, die Leiter zu dem schwankenden Boot nach unten. Vier Tage in der Kajüte mit dem stinkenden Kapitän waren für ihren Geschmack mehr als genug – wenn es nach ihr ging, konnte er mit seinem Schiff getrost im nächsten Sturm absaufen. Sie würde ihm ganz sicher keine Träne nachweinen. Jetzt sehnte sie sich nur noch nach einem heißen Bad und einer ruhigen Nacht, in der sie ihre wunden Stellen pflegen konnte. Ihre Brustwarzen schmerzten unter dem Leinen ihrer Bluse – und das war bei Weitem nicht das Schlimmste. Ein Mann, der sechs Monate lang nur andere Männer, Wale und die See gesehen hatte, war einfach unersättlich. Zärtlichkeiten waren dabei nicht vorgesehen. Außerdem schienen manche Männer ein fast unnatürliches Vergnügen daraus zu ziehen, ihr immer wieder in die Brustwarzen zu beißen. Wenn sie dann vor Schmerzen aufstöhnte, hielten sie es auch noch für Lust und sahen sich als großartige Liebhaber bestätigt. Idioten, allesamt.
Während sie dem Ufer entgegensah, flocht sie ihre Haare zu einem straffen Zopf zusammen, den sie zu einem möglichst sittlichen Knoten aufsteckte. Vielleicht wurde so der Weg durch die Straßen zurück zur Bar von Master Jameson ein bisschen erträglicher. Als die kleine Jolle den Strand erreichte, nickte sie dem Matrosen kurz zu und machte sich auf den Weg. Es war später Nachmittag, nicht mehr lange, und die Sonne würde untergehen. Die meisten Männer, die im Augenblick unterwegs waren, feierten ihren Festlandurlaub schon seit mehreren Stunden. An einer Kreuzung bildeten sie einen Halbkreis um zwei prügelnde Kerle, feuerten sie an und setzten Wetten auf den
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