Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
müssen wir uns etwas Neues ausdenken. Eine neue Verbindung, die möglichst vorteilhaft sein sollte. Nach Möglichkeit mit einem Mann, der nicht ahnt, dass du eine verschmähte Braut bist.« Elizabeth Courtenay legte ihren Arm um die schmalen Schultern ihrer Tochter. »Schatz, ich weiß, dass das schwer für dich ist. Aber jetzt müssen wir nur daran denken, wie wir möglichst wenig Schaden nehmen. Auch wenn es dir schwerfällt: Das ist es, woran du denken musst.«
Anne schloss die Augen. Dieser Sommertag hatte sich in einen dunklen Albtraum verwandelt. Sie stand langsam auf. »Ich möchte einen Augenblick alleine sein. Keine Sorge, ich mache nichts Unüberlegtes … Ich bin bald wieder hier und helfe bei allem, was es zu bedenken und vorzubereiten gibt.« Sie nickte ihren Eltern zu und rannte aus dem Zimmer. Keiner von beiden versuchte auch nur, sie aufzuhalten.
Sie rannte die Treppe hinunter, durch die Eingangstür und lief dann weiter, bis sie sich vor den Stallungen wiederfand. Ohne lange nachzudenken, öffnete sie die Tür und ging durch die Stallgasse. Erst jetzt ließ sie den Tränen freien Lauf. All die wunderbaren Pferde würden in wenigen Tagen den Mallorys gehören. Das war zwar schon immer der Plan gewesen – aber tatsächlich hatte Anne sich immer als Herrin der Gestüte gesehen. Eine glückliche junge Frau, die gemeinsam mit ihrem Mann die Geschicke der Ländereien leitete und ein durchweg wunderbares Leben führte.
Sie schob die Stalltür zu der kleinen grauen Shadow auf. Die Stute drückte vertrauensvoll ihre Nüstern in ihre Hand. Anne spielte nachdenklich mit der Stirnlocke und streichelte ihr über die Nüstern. Shadow würde auch weiterhin ihrem Vater gehören, sie hatte dank Sunrise keine gültigen Papiere.
Wie sollte es jetzt nur weitergehen? Statt Tochter eines Gestütsbesitzers war sie jetzt die Tochter eines armen Schluckers. Langsam senkte sie ihre Nase in die weiche Mähne der Stute. Vom wohlhabenden Mädchen zum Nichts in wenigen Minuten. Sie fühlte sich immer noch wie betäubt.
Sie hörte, wie sich durch die Stallgasse Schritte näherten, und versteckte sich schnell hinter Shadows Hals. Aber der Besucher blieb genau vor der Stalltür stehen. »Anne?«
Ihr Herzschlag setzte einen Augenblick aus. Gregorys Stimme. Sie richtete sich auf und rieb sich kurz über das Gesicht. Er sollte ihre Tränen nicht sehen. Er hatte sie verlassen, aber er sollte nicht erfahren, wie tief er sie verletzt hatte. Sie schluckte noch einmal, damit ihre Stimme sie nicht verriet.
»Was willst du?« Sie trat hinter dem Pferd hervor. »Ihr wolltet uns doch wenigstens eine Woche geben, bevor ihr hier als neue Besitzer auftaucht! Was machst du heute schon hier?«
Er trat einen Schritt auf sie zu. »Liebling, ich habe damit doch nichts zu tun. Mein Vater hat diese Vereinbarung getroffen, nicht ich. Das musst du mir glauben!«
»Warum sollte ich?« Anne machte einen Schritt nach hinten, damit Gregory ihr nicht zu nahe kam. »Jetzt gehört euch alles, was einst Eigentum meiner Familie war, ohne dich mit mir zu belasten. Freie Bahn, um eine der dummen Marcheston-Schwestern zu heiraten und noch reicher zu werden. Passt doch, oder?«
»Das glaubst du doch nicht wirklich?« Er hob hilflos die Hände. »Ich wollte immer nur dich heiraten. Will ich immer noch. Mir ist es egal, ob mein Vater dagegen ist. Er würde mich schon enterben, wenn er nur wüsste, dass ich jetzt hier bin. Aber mir ist das egal … ich will dich!«
»Und wie soll das funktionieren? Denkst du wirklich, wir können uns gegen den Willen unserer Eltern vermählen? Als Habenichtse leben? Wie denkst du dir das?« Anne biss sich auf die Lippen. Auf keinen Fall wollte sie jetzt in Tränen ausbrechen. »Dein Vater wollte meinen Vater vernichten. Das ist ihm gelungen. Wenn du dich gegen ihn auflehnst, dann wird er auch dir sein wahres Gesicht zeigen.«
»Aber ich bin ein erwachsener Mann. Er kann mir doch schwerlich vorschreiben, wie ich mein Leben führen soll.« Gregory sah sie mit einem herausfordernden Funkeln in den Augen an. Für den Bruchteil einer Sekunde tauchte sogar das vertraute Lächeln in seinen Augenwinkeln auf. »Vertrau mir. Uns fällt etwas ein.«
»So wie in den letzten Monaten, wo du peinlich genau darauf geachtet hast, dass du mich nicht sehen musst? Euer Zimmermädchen hat mich in der Kälte stehen lassen, um mir dann mitzuteilen, dass ich nicht erwünscht bin. Da habe ich ja gesehen, wie sehr du bereit bist, für mich zu
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