Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
dort schon mehrfach, ich bin mir sicher, dort liegt meine Zukunft.« Er nickte zur Bekräftigung seiner Worte. »Keine Altlasten, nur der Blick nach vorne. Dort zählt nur der Mensch, seine Abstammung und die Verdienste der Familie in der Alten Welt zählen nichts.«
»Und womit wollt Ihr Euren Start in die neue Welt finanzieren?« William Courtenay schien wirklich neugierig. Für einen Moment fragte Anne sich, ob ihr Vater wohl selbst eine Auswanderung erwog.
»Ich arbeite weiter als Kapitän, so wie hier auch. Nur mein Heimathafen ändert sich. Aber in Neuseeland kann ich mir ein schönes, großes Stück Land in Kororareka nehmen. Ich bin mir sicher, dort wird irgendwann in den nächsten zehn Jahren die Hauptstadt entstehen. Dann, wenn die Krone endlich akzeptiert, dass dort eine Kolonie entstanden ist, die man nicht mehr länger außer Acht lassen kann.« Ardroys Augen leuchteten noch heller, während er von diesem fernen Land sprach – von dem Anne bis zu diesem Moment noch nie gehört hatte. Warum auch, in Neuseeland gab es ja nicht einmal Pferderennen …
»Wird die Krone das denn tun?« Courtenay wollte es an diesem Abend wohl genau wissen.
»Sie hat ja bereits die Verantwortung für Australien, das kostet schließlich auch – all die Soldaten, die Angestellten der Krone, die für Rechtsprechung und die Durchsetzung der Gesetze bezahlt werden müssen. Dabei ist es mit Neuseeland ganz anders. Australien ist eine Provinz voller Sträflinge, die dort nur ihre Verbannung absitzen. Nach Neuseeland kommen die Menschen freiwillig. Sie kommen, weil dort der Reichtum durch den Walfang und den Handel mit Robbenfellen lockt. Dazu kommt der zunehmende Wert von Flachs – und eine Menge fruchtbares Land, das man gut nutzen kann. Die Chancen sind riesig. Man muss es sich nur zutrauen, dann steht einem alles offen.«
Während Ardroy sprach, sah Anne ihn sich genau an. Rote Haare, helle Augen, schmal und drahtig. Er wirkte ein wenig wie ein trainierter Windhund. So ein Mann konnte keine Ruhe ausstrahlen, seine Bewegungen waren ein bisschen zu schnell und zu fahrig. Aber womöglich war genau das der Typus Mann, der in einer neuen Welt Wurzeln schlagen konnte. Für einen Augenblick stellte Anne den Vergleich zwischen diesem Mann und Gregory an. Wo Ardroy verwegen war, wirkte Gregory höchstens abenteuerlustig – ihm fehlte einfach der Hunger, das unbedingte Verlangen nach einem andersartigen Leben. Sie atmete tief durch. Womöglich musste sie sich auf diese unkonventionelle Art des Lebens einstellen.
Noch bevor sie weiter über diesen Gedanken nachsinnen konnte, erhoben sich die Männer und zogen sich in das Raucherzimmer zurück. Die steife Mistress Richmond bot ein wenig Likör an und zwinkerte Anne dann zu. »Na, wie gefällt er dir denn?«
»Wer?« Verwirrt sah Anne auf.
»Na, es ist doch einleuchtend, warum mein guter Gemahl zu diesem Essen geladen hat. Er möchte, dass du Nathan Ardroy kennenlernst. Vielleicht solltest du nicht mit deinen Eltern in den Norden ziehen. Ich bin mir sicher, Ardroy wird in diesem Augenblick bei deinem Vater um deine Hand anhalten, liebes Kind.« Mistress Richmond stellte das so beiläufig fest, als ob sie über das Wetter reden würde.
»Das kann doch nicht …« Hilfesuchend sah Anne ihre Mutter an. »Sag mir, dass das nicht wahr ist. Ich sitze hier nur, weil ich gerade wieder auf dem Markt der heiratsfähigen Frauen gelandet bin? Das ist der einzige Grund?«
Ihre Mutter nickte nur und lächelte ihr begütigend zu. »Keine Sorge, mein Kind. Wenn der Kapitän dir nicht gefällt, dann musst du ihn ganz sicher nicht heiraten. Es erschien uns nur eine gute Idee. Der Markt für statthafte junge Männer dort oben in Schottland ist nicht allzu groß – vor allem, wenn du die Tochter eines einfachen Verwalters bist. Da wäre es doch nur geschickt, wenn du noch hier eine vorteilhafte Verbindung eingehen würdest.« Sie nahm einen Schluck von ihrem Likör und wandte sich dann wieder ihrer Tochter zu. »Wie gefällt er dir denn? Er ist doch kein übler Mann? Was sagst du?«
In Annes Gedanken drängte sich Gregory Mallory mit seinen kastanienbraunen Locken, den breiten Schultern und dem sorglosen Lachen. Neben Gregory sah dieser Kapitän Ardroy wie ein magerer Windhund aus, der sich hektisch in jeden angebotenen Knochen verbiss. Immerhin schien er sich sicher zu sein, dass er sein eigenes Leben und sein eigenes Glück gestalten konnte. Anne biss sich auf die Lippen und verbot sich selber
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