Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
alle Glieder fuhr. Sie richtete sich zu ihrer ganzen Größe auf. »Nicht bösartig? Wenn dein Vater wirklich der Freund gewesen wäre, für den mein Vater ihn gehalten hat, dann hätte er ihm nicht alles abgeknöpft. Hätte ihm Geld gestundet, nur ein paar Pferde genommen oder ein paar Koppeln.« Ihre Stimme wurde lauter, sie schrie jetzt fast. »Aber er hat sich einfach alles unter den Nagel gerissen, wie ein echter Verbrecher! Und da soll ich ihn nicht boshaft nennen dürfen? Mir würden noch sehr viel üblere Worte einfallen, das kannst du mir glauben, Gregory Mallory. Dein Vater ist ein Verbrecher, der die Notlage von Freunden ohne einen Augenblick des Zögerns ausnutzt!«
»Verbrecher? Das kannst du doch nicht im Ernst behaupten?!« Aufgebracht sah er sie an. Offensichtlich fehlten ihm die Worte.
Anne nickte noch einmal, raffte ihre Röcke und drückte sich an ihm vorbei aus Shadows Box. »Und jetzt verzeih mir. Ich muss mich um einen Umzug kümmern. Da habe ich keine Zeit für dieses Gespräch – spätestens jetzt müsste ja klar sein, dass wir manche Dinge einfach zu unterschiedlich sehen.«
Reglos sah Gregory ihr hinterher. Annes schwarze Locken wippten mit jedem Schritt, als sie fast im Laufschritt die Stallgasse entlangging und durch die Tür verschwand. Er konnte nicht fassen, was da gerade eben passiert war. Er war doch hierhergekommen, um Anne zu versichern, dass er sie immer noch liebte und sie gemeinsam um eine Zukunft kämpfen mussten. Und was war passiert? Sie hatte ihn stehen gelassen wie einen dummen Schuljungen. Und noch dazu behauptet, dass sein Vater sich den Besitz der Courtenays wie ein Verbrecher angeeignet hätte. Dabei war der alte Courtenay vielleicht einfach zu dämlich für dieses Geschäft. Er schüttelte noch einmal den Kopf und verließ dann den Stall. Er sollte an diese junge Frau keinen einzigen Gedanken mehr verschwenden. So schön sie auch war und so bezaubernd er ihren aufsässigen Charakter immer gefunden hatte – dieses Mal war sie zu weit gegangen. Er sollte auf den Rat seines Vaters hören und sich doch diese hässliche Marcheston-Tochter noch einmal ansehen. Wer weiß, vielleicht hatte sie ja ein ganz unterhaltsames Wesen. Er schwang sich auf sein Pferd, das er hinter dem Stall angebunden hatte, und drückte ihm seine Fersen in die Weichen. Im Galopp sprengte er vom Hof.
Er bemerkte dabei nicht, dass Anne hinter einem Busch stand und ihm nachsah, während ihr Tränen über das Gesicht liefen. Sie sah ihm hinterher, bis auch die letzte Staubwolke unter den Hufen seines Pferdes wieder auf den Boden gesunken war. Dann drehte sie sich langsam um und atmete tief durch. Ihre Mutter hatte recht. Jammern half hier nicht weiter, sie musste versuchen, nach vorne zu blicken. Und eine Zukunft mit Gregory kam nicht infrage, egal, wie sehr es schmerzte, ihn so heftig wegzustoßen.
9.
»Auf die schönste Frau, die ich die Ehre hatte hier in England kennenzulernen!« Nathan Ardroy hob sein Weinglas in Richtung von Anne Courtenay, die sich unter den Blicken all der Menschen eher unwohl fühlte. Der Seemann machte ihr schon den ganzen Abend den Hof und sparte nicht mit Komplimenten. Anfangs hatte sie das ja genossen, aber allmählich wurde ihr es einfach zu viel. Dabei hatte sie sich auf diesen Abend gefreut. Oberst Richmond hatte zu einem Abschiedsessen geladen. »Das ist doch das Mindeste, was ich für meinen neuen Verwalter tun kann!«, hatte er erklärt und keine Ausrede gelten lassen.
Neben ihren Eltern, dem alten Oberst und seiner steifen Frau war auch noch dieser Kapitän Ardroy erschienen. Seine flammend roten Haare trug er in einem etwas altmodischen Zopf, der ihm allerdings ein recht verwegenes Aussehen gab. Seine merkwürdig hellen Augen verfolgten Anne seit ihrer Ankunft. Er machte auch kein Geheimnis daraus, dass er nur für kurze Zeit nach England gekommen war – aber gerne mit einer Braut wieder in See stechen wollte.
»Ich werde allerdings nicht auf Dauer hier in England leben«, erklärte er in dieser Sekunde Annes Vater. »Hier sind meine Aussichten auf gesellschaftliche Anerkennung nicht groß – was soll ich schon tun? Ich werde nie zum Adel gehören, immer nur ein einfacher Seemann sein.«
»Immerhin mit einem Kapitänspatent«, bemerkte William Courtenay. »Es gibt wahrlich Schlechteres als das. Aber wo wollt Ihr Euch denn niederlassen?«
»Neuseeland. Das Land ist jung, wer dort sein Glück mit beiden Händen ergreift, der wird reich entlohnt. Ich war
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